Jeden zweiten Sonntag besuchte die Großmutter die Häcklinger, und die Mutter und das kleine Mädchen begleiteten sie.
Tante Alma und Onkel Heini, Onkel Willi und Tante Ella. Dem kleinen Mädchen kamen sie uralt vor, besonders Tante Alma in ihrem braunen Kleid mit dem weißen Kragen. Tante Ella erschien ihr jünger, sie redete viel und hatte einen Sohn, Bernd, der mit seiner Frau Emmi im gleichen Haus lebte.
Tante Ella schien immer nett zu ihr, aber das Mädchen spürte, dass Ella sie eigentlich nicht leiden konnte. Einmal war sie ihr im Garten begegnet und die Tante hatte ihr das Kerngehäuse ihres Apfels ins Gesicht gespuckt. Als das Mädchen protestierte, hatte sie nur gelacht, aber das Lachen hatte nicht freundlich geklungen.
Die Besuche verliefen stets gleich. Zunächst gab es Kaffee und Kuchen, erst ein Stück Torte und danach ein Stück Sandkuchen. Anschließend blieben die Erwachsenen am Tisch sitzen und tranken ein Glas Likör. Das kleine Mädchen durfte sich in den Sessel am Fenster setzen und in den Zeitschriften blättern, die auf dem Beistelltisch lagen.
Die Wanduhr tickte laut und unerbittlich und die Erwachsenen sprachen mit gedämpften Stimmen. Während sie auf die bunten Bilder von Damen in prächtigen Kleidern und mit Tiaren im Haar schaute, lauschte sie den Erwachsenen. Diese sprachen fast immer über schlimme Dinge, die anderen Erwachsenen passiert waren, über Krankheiten und wer im Dorf gestorben war. Manchmal wurde dem Mädchen beim Zuhören ganz elend zumute. Tante Alma kommentierte das Gesprochene stets mit „Ja, ja“ und die Mutter blieb stumm.
An diesem Sonntag schienen die Erwachsenen über etwas besonders Schlimmes zu sprechen, denn sie flüsterten fast und ihre Mienen waren ernst. Jemand hatte wohl etwas verloren, und das nicht zum ersten Mal. Tante Ellas Stimme klang erregt, fast schon wütend und Onkel Willi legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm, was er sonst nie tat. Danach sprach sie leiser, und das kleine Mädchen schnappte nur noch Satzfetzen auf. „Auf Leiter gestiegen“, „Gardinen“, „kein Wunder“,“ „in diesem Zustand“ und einmal fiel auch Emmis Name. Schließlich schwiegen die Erwachsenen und Onkel Heini holte noch einmal die Likörflasche hervor.
Das Mädchen mochte Emmi, sie hatte braune, lockige Haare und ein Muttermal über den Lippen. Sie roch nach Pfirsichen und wenn man sie umarmte, fühlte sie sich weich an. Endlich erhielt das Kind die Erlaubnis in den Garten zu gehen. Sie wanderte durch die Gemüsebeete und naschte von den Erbsen Als sie sah, dass die Terrassentür zu Emmis Wohnung offenstand, entschloss sie sich Emmi zu besuchen.
Emmi war nicht in der Küche und auch nicht im Wohnzimmer. Die Tür zum Schlafzimmer war angelehnt und das kleine Mädchen öffnete sie vorsichtig. Emmi lag im Halbdunkel auf dem Bett und sagte kein Wort. Sie sah traurig aus. Das kleine Mädchen legte sich neben Emmi. Keiner der beiden sprach, sie schauten sich an, bis Emmi das Kind fest an sich drückte. Während sie das tat, liefen ihr Tränen über die Wangen und das kleine Mädchen verstand, dass es Emmi war, die etwas verloren hatte.
Nachdenklich stimmende Texte du Liebe.
Danke Dir für Deine Rückmeldung. Herzliche Grüße aus dem Norden!
Dein Text ist so bewegend und eindringlich. Danke!
Danke!
Wunderschöner, anrührender Text, danke!