Tortenheldinnen (2)

Ich mag Mareike sehr. Wir haben uns auf dem Spielplatz kennengelernt. Ihr Sohn hatte meiner Tochter die Schaufel weggenommen und nachdem wir den Streit geschlichtet hatten, kamen wir ins Gespräch und verabredeten uns für den darauffolgenden Tag zu einem Spaziergang mit den Kindern. Das ist nun fast 30 Jahre her.

„Weißt du noch, wie wir uns das erste Mal in einem Café getroffen haben?“, frage ich sie. Sie grinst.

„Du wolltest damals unbedingt 10 kg abnehmen, obwohl du noch gestillt hast, aber als du die Torten gesehen hast, war die Diät vergessen und du hast dir zwei Stück Käsetorte bestellt.“

„Ja, und du hast die ganze Zeit über den Drachen von Schwiegermutter gelästert, die darauf bestand, euch jeden Sonntag zum Mittagessen bei sich zu haben.“

Wir schwelgen ein wenig in Erinnerungen, bis uns eine dunkle Stimme unterbricht.

„Wie ich sehe, habt ihr eure Torte schon aufgefuttert. Darf ich mich zu euch setzen?“

Mareike strahlt. „Markus, wie schön, dass du gekommen bist. Das ist Mareike, meine beste Freundin.“

Markus sieht mir tief in die Augen. „Schön, noch eine Tortenliebhaberin kennen zu lernen.“ Er blickt sich um. „Ganz schön edel, dieser Laden. Wie sind denn die Torten?“

„Sehr gut. Mindestens 6 von sieben Sternen. Die Schokoladentorte ist ein Traum.“

„Na, wenn du das sagst, mein Schatz, dann wird das wohl stimmen.“ Er wendet sich mir zu.

„Und du häkelst gern?“

„Wie kommst du denn darauf?“

„Na, das Tuch, das du trägst, sieht aus, als hättest du es selbst gemacht.“ Sein Ton wirkt auf mich ein wenig herablassend und Mareike bemerkt schnell, dass es meine Oma ist, die diese Stola für mich gehäkelt hat.

„Ach so“, erwidert er. „Ich hatte mich schon gewundert, warum eine so schöne Frau ein so altbackenes Tuch trägt.“ Zum Glück kommt in diesem Moment seine Torte.

Dies ist mein Versuch, die Geschichte der Tortenheldinnen mit den Wörtern der Etüdenwoche 4/5 fortzuführen. Die Wörter lauten Drache, edel, und häkeln. Noch einmal Danke an Dich, Christiane.

Angelika

Samstagmorgen. Ich blättere in der Zeitung. Eine Anzeige fällt mir ins Auge. Angelika K., geborene W.,  * 23.06.58, gestorben vor wenigen Tagen.  Mein Magen krampft sich zusammen, ich bin erschrocken, dann traurig. Ich habe seit über 40 Jahren keinen Kontakt mehr zu ihr und doch war sie ein wichtiger Mensch für mich. 

Angelika. Sie war meine allerbeste Freundin als ich 12, 13 Jahre alt war. Ich lernte sie zu Beginn der 7. Klasse kennen.
Sie hatte dunkelblonde Haare und ein schmales Gesicht. Oft trug sie braune Cordhosen und einen beigen Wollpullover. Ich erinnere mich nicht mehr genau, wie wir Freundinnen wurden, aber eine Zeitlang waren wir unzertrennlich.

Ich war gern bei ihr zuhause. Sie hatte ein eigenes Zimmer.  Ihre Mutter half uns bei den Hausaufgaben.  Sie hatte einen großen Bruder und eine kleine Schwester und eine Tante, die Fürsorgerin war. So nannte man damals Sozialarbeiter. Ich erinnere mich, dass sie mich einmal  fragte, was ich später werden möchte und als ich ihr antwortete, dass ich auch gern Sozialarbeiterin werden wollte, riet sie mir vehement davon ab.

Mit Angelika teilte ich all meine Gedanken und Träume und die Grauen der Vorpubertät. Wir hörten David Cassidy und Donny Osmond und schwärmten uns von dem Jungen vor, in den wir uns verguckt hatten. Ich wohnte in der Nähe der Schule und oft kam sie morgens bei mir vorbei um ihren braven Pullover gegen einen kurzen, der beim Bücken den Rücken freigab, zu tauschen. Das war damals sehr modern, aber von den meisten Eltern verboten.

Sie wohnte in der Nähe der Ilmenau und eines Tages vergruben wir am Fluss eine Blechdose.  In dieser hatten wir Symbole unserer Freundschaft gelegt, denn zu dem Zeitpunkt glaubten wir fest, dass wir lebenslang Freundinnen sein würden. 

Angelika hatte Geigenunterricht und ging zum Reiten. Ihre Eltern fuhren sie in einem großen Volvo-Kombi zur Reithalle und ich schaute ihr einmal  beim Training zu. Ich wäre selbst gern geritten, aber dafür reichte zuhause das Geld nicht. Manchmal stritten wir uns über Musik. Sie mochte klassische Musik, die bei uns zuhause nie gespielt wurde. Ich sagte ihr, dass ich klassische Musik doof finde, aber in Wirklichkeit erweckte sie Gefühle in mir, die mir Angst machten. 

Irgendwann, als aus Schwärmereien die ersten richtigen Liebeleien mit Jungs geworden waren, drifteten wir auseinander. Nicht lange danach verließ sie die Schule. Wir hielten keinen Kontakt. 

Seit ich wieder in Lüneburg lebe, erinnere ich mich wieder mehr an meine Kindheit und Jugend. Bei einem Spaziergang dachte ich erst vor ein paar Wochen an Angelika und unsere Kiste.

Die Traueranzeige ist liebevoll gestaltet. Sie war wohl  schwer krank, es wird um Spenden an die Krebshilfe gebeten. Sie war verheiratet und hatte drei Kinder. Ihre Schwester lebt noch, aber der Name ihres Bruders  fehlte.

Ich stelle mir vor, dass sie ein glückliches Leben hatte. 

Nicht weit von hier müsste die kleine Kiste noch in der Erde liegen

Liebe Martina

Liebe Martina,
gestern war ich beim Hautarzt. Wegen dieses schwarzen Fleckens. Der Arzt war furchtbar. Ich war in der offenen Sprechstunde und wartete gefühlte Ewigkeiten. Dann kam ich in einen kleinen fensterlosen Raum und dieser Mensch kam rein. Murmelte seinen Namen und guckte mich nicht an.  Fragte, was ich hatte, forderte mich auf, den Fleck zu zeigen, nahm ein Instrument, blickte drauf und sagte „der muss raus“. Dann gab er mir ein Formular zum Ausfüllen und erklärte, dass zunächst nur oberflächlich geschnitten wird und wenn der Laborbefund positiv ist, würde es einen tiefen Schnitt geben. Dann war er auch schon weg. Er hat mir nicht einmal in die Augen geblickt und bevor ich was fragen konnte, war er schon zur Tür raus.
Dann habe ich einen Termin in mehr als 9 Wochen bekommen. Mit Verdacht auf Hautkrebs. Vorher hätten sie nichts, sagte die Arzthelferin. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie es mir ging, gestern. Ich bin wie betäubt zur Arbeit gefahren, habe meinen Job gemacht, sogar ein Gruppengespräch übernommen, weil es bei unseren Klienten Unmut über einen neuen Mitarbeiter gibt, habe Wogen geglättet, während mein Bauch sich unentwegt zusammenkrampfte. Ich war, glaube ich, dreimal zur Toilette, weil ich im wahrsten Sinne des Wortes, die Hosen voll hatte. Konnte bis in den Abend keinen Bissen runterbringen. War noch beim Tierarzt und hab Wochenendeinkauf gemacht und die ganze Zeit rasten die Gedanken.
Ich will einen anderen Arzt, einen, der mir erklärt, was ist, ich habe auch schon gegoogelt, wer in unserer Gegend gut sein sollt. Dann wieder denke ich, dass so ein kleiner Fleck ja noch nicht gefährlich sein kann, aber Dr. Google sagt da was anderes, und ich werde jetzt nicht mehr googlen, sonst werde ich verrückt. Dann beruhige ich mich wieder und sage mir, dass vor einem Jahr ja alles ok war und dass meine neue Hausärztin ja auch die Haut angeguckt hat und nichts bemerkt hat und dass dieser Fleck auch ein anderer sein könnte, als der vom letzten Jahr.
Ich hab außer Dir niemanden davon erzählt, ich mag es nicht in Worte fassen, dann wird es so real. Und außerdem, vielleicht ist dann doch nichts, und alle haben sich umsonst Sorgen gemacht, aber mein Gefühl sagt mir, dass da was ist und so dreht es sich ständig im Kreis.
Drück mir die Daumen, liebe Martina. Jetzt am Wochenende kann ich eh nichts tun, aber Montag werde ich gleich den anderen Arzt anrufen und so lange nerven, bis ich einen Termin habe. Ich warte doch nicht bis Ende Januar, wenn da womöglich eine Zeitbombe auf meinem Rücken tickt!!!!
So, genug von diesem Thema. Wie geht es Dir? Läuft es im neuen Job? Wie ist es, in einer Suchtklinik zu arbeiten? Bei uns im Job ist alles wie immer. Eine der Neuen hat schon wieder gekündigt, sie könne sich mit der Arbeit nicht identifizieren und schwupps, war sie krankgeschrieben und ich führe mal wieder Vorstellungsgespräche. Dabei hab ich so viel in die Einarbeitung investiert. Scheiße, echt!
Wie geht es Lena? Was macht Dein Liebesleben? Bist Du nicht froh, dass wir in der heutigen Zeit leben? Wir müssen uns in unserem Alter nicht aufs Altenteil zurückziehen, sondern reisen durch die Welt und haben sogar Lover! Hast Du von Rolando gehört? Bleibt es bei Deinem Plan, im März nach Chile zu fliegen?
Ich freue mich auf Deinen nächsten Brief!
Bis bald! Liebe Grüße
Deine Trina