So wie es ist, soll es nicht bleiben

In ein paar Tagen werde ich 60. Das finde ich nicht weiter schlimm, aber es löst  etwas in mir aus. Ich will nicht mehr so weitermachen, wie bisher.

Ich gebe euch ein Beispiel:

Vor vier Wochen hatten wir personellen Notstand. Ich hatte alle Hände voll zu tun, die Klienten zu vertrösten, wenn ihre Therapeuten nicht da waren, die Telefonate und Emails, die auf mich umgeleitet waren, zu beantworten, schnell mal anhand der Doku einen Bericht zu schreiben, den ein anderer längst hätte fertig haben sollen usw.

In der Woche hatte ich für den Freitag einen Urlaubstag geplant. Den Donnerstag davor hatte ich von Terminen frei gehalten, um meine eigenen, längst überfälligen Gutachten zu schreiben und den Papierkram zum Monatsende fertig zu kriegen.  Am Montag teilte mir die Personalabteilung mit, dass sie für den Donnerstag noch zwei Vorstellungsgespräche geplant hatten, an denen ich als Teamleiterin teilnehmen musste. Meine gar nicht mal so leisen Proteste ignorierten sie und ich fügte mich. Schließlich brauche ich ja neue Mitarbeiter.

Der Donnerstagmorgen begann mit einem langen Stau und 50 Minuten Verspätung. Als ich kam, warteten bereits drei Klienten vor meiner Tür. Jeder hatte Fragen und Anliegen, die nicht aufschiebbar waren, es ging um die Verlängerung ihres Aufenthalts und fehlende Übergangsgeldzahlungen. Normalerweise sind dafür die Sozialpädagoginnen zuständig, aber eine ist im Mutterschutz, eine hat uns verlassen und die Dritte ist krank. Es gibt noch eine Vierte, aber die arbeitet nur an 3 Tagen in der Woche und nicht an einem Donnerstag.

Kurz darauf stand ein junger Mann in meiner Tür, der im Internet über unsere Angebote gelesen hatte und sich nur mal kurz erkundigen wollte, wie das bei uns so läuft. Ich erklärte ihm freundlich, dass ich gern ein Aufnahmegespräch mit ihm führe, er dafür aber einen Termin vereinbaren müsse. Das verstehe er, aber er habe trotzdem ein paar Fragen, um sich darüber klar zu werden, ob wir denn die richtige Einrichtung für ihn sind. Nun, erwiderte ich, um das zu klären,  sind diese Aufnahmegespräche ja da, ob er denn einen Termin machen wolle. Das wollte er und während ich in meinem Kalender nach einer freien Stunde suchte, löcherte er mich weiter mit Fragen. Schließlich, nach 20 Minuten, gelang es mir ihn vor die Tür zu schieben.

Die beiden Vorstellungsgespräche waren enttäuschend. Der einen Bewerberin fehlten die Voraussetzungen, obwohl ich sie sonst gut fand, der andere hatte Gehaltsvorstellungen, die mich ganz blass vor Neid werden ließen, vor allem, weil er mit seinen 30 Jahren schon mehr verdiente hatte, als ich mit 60. Da tröstet mich dann auch mein Firmenwagen nicht mehr.

Ende vom Lied war, dass ich erst um 16.00 Uhr zu meinen Berichten und Verwaltungsaufgaben kam. Am Montag mussten diese den Kostenträgern bzw. dem Rechnungswesen vorliegen. Ich schaltete das Telefon aus und machte mich an die Arbeit. Es war fast 21.00 Uhr als ich schließlich das Haus verließ. Ich wurde mit einer freien Autobahn belohnt und schaffte es noch kurz vor 22.00 Uhr in den letzten offenen Supermarkt zu stürmen und Hundefutter und eine TK-Pizza für mich zu holen.

Am Freitag hatte ich meinen Urlaubstag. Den brauchte ich dringend, um endlich mal zu Hause klar Schiff zu machen. Den Garten machte ich dann am Samstag und am Sonntag war ich müde und kaputt.

Solche langen Tage habe ich vor jedem Urlaub und manchmal auch dann, wenn keiner ansteht. In den vergangen  Jahren war ich so gut wie nie krank.

Auf der Arbeit bin ich ein Kopfmensch, denke rasend schnell, treffe Entscheidungen und nehme mich selbst kaum wahr. Mein Körper hat bereits begonnen, sich zu rächen: Arthrose, Diabetes, ein Reizmagen und seit neuestem eine Autoimmunkrankheit der Haut. Auslöser: Stress.

Ich leide unter Bewegungsmangel und ich schlafe nicht genug. Damit muss nun Schluss sein.

Ich werde 60! Damit habe ich ein Alter erreicht, in dem ich den jungen Mitarbeitern wie ein Relikt aus der Steinzeit erscheine und auch sie sind mir oftmals fremd mit ihren Einstellungen und ihrer Arbeitshaltung. Aber es ist ihre Zeit. In 6 Jahren und 3 Monaten gehe ich in Rente und ich bin fest entschlossen, ab jetztmeinen Fokus auf das zu richten, was wirklich zählt. Meine Gesundheit, meine Familie, die wenigen Freunde, die ich noch habe, meinen Partner, dem Malen, Schreiben und dem Garten.

Mit anderen Worten, ich will meine Energie und Kraft nicht mehr nur für die Arbeit, sondern für mich nutzen. Sonst ist sie nämlich bald aufgebraucht.

Natürlich will ich weiterhin einen guten Job machen, aber als Leitung und mit 60 Jahren muss ich nicht mehr diejenige sein, die sich mit Grippe zur Arbeit schleppt, während anderen bei jedem Schnupfen mindestens drei Tage zu Hause bleiben. Ich will lernen, an die jungen, nachfolgenden Mitarbeiter abzugeben, ihnen Verantwortung zu übertragen und mich selbst zurückzunehmen, ob das meiner Geschäftsleitung nun passt oder nicht. Mit 60 Jahren und nach 25 Jahren in dieser Einrichtung habe ich es mir verdient, es etwas langsamer angehen zu lassen. Ich bin sogar überzeugt, dass unsere Abteilung davon profitieren wird. Eine Vorgesetzte, die heiter und gelassen ist, die anderen etwas zutraut und sich nicht in alles reinhängt, ist sicherlich motivierender als eine, die alles kontrolliert, nichts abgeben mag und die anderen so klein hält, oder?

Norwegen

Norwegenurlaub sollte es auf Rezept geben! So entspannt, ausgeglichen und gesund habe ich mich seit Ewigkeiten nicht gefühlt wie nach diesen zwei Wochen in Norwegen.

Ganz in meinem eigenen Schneckentempo und ohne einem Menschen zu begegnen, habe ich auf meinen Wanderungen den Kopf wieder frei gekriegt und Hausumbau, Job und Familienstress weit hinter mir gelassen.

Auf dieser Karte (aus Google Maps kopiert) seht ihr die kleine Insel Runde, auf der mein Lebensgefährte geboren und aufgewachsen ist und einige der Inseln in der Umgebung.

Karte aus google maps

Die erste Wanderung war natürlich auf „unserer“ Insel, wo es um diese Jahreszeit noch wunderbar geruhsam ist, bevor die vielen Touristen kommen, um den berühmten Vogelfelsen zu sehen:

Dann folgte ein Spaziergang auf Flö. Von dort hatten wir einen tollen Blick auf Runde im Abendlicht.

Meine nächste Wanderung war auf der kleinen Insel Remöy, von der aus man die Sunnmörs Alpen weit im Hintergrund sieht:

Meine letzte Wanderung kurz vor der Abfahrt war dann auf Leinöy. Hier imponieren mir immer die Schiffe der Hochseefischer, die direkt am Straßenrand „parken“:

Urlaubsende

Morgen geht es wieder los zur Arbeit. Braungebrannt, mit deutlich kleineren Augenringen, ausgeschlafen, erholt und voller Optimismus.

Die Monate vor dem Urlaub waren schwierig, hoch emotional und aufwühlend. Es gab viele Kündigungen und das Betriebsklima war destruktiv. Nie zuvor habe ich mich so ausgelaugt vom Job gefühlt wie in diesem Jahr. Ich hoffe, das liegt nicht am Alter…

Wir sind zwei Wochen mit unserem Wohnmobil von Ort zu Ort gezogen, durchs Sauerland, den Westerwald, durch das Rheinland und entlang der Mosel, waren an der Nahe und der Saar. Nach einigen Tagen waren alle Gedanken an die Arbeit verschwunden. Wie gut, dass es Urlaub gibt!

Nun wünsche ich mir, dass ich bis zum nächsten Urlaub die Herausforderungen im Job mit klarem Verstand, innerer Distanz und Tatkraft meistern werde, statt vor lauter Emotionen und Selbstzweifeln den Überblick zu verlieren.

Heute aber, am Sonntag, gebe ich mich noch einmal der Muße hin, ganz bewusst, denn um Krisen zu bewältigen ist Kraft sammeln ganz wichtig, nicht wahr?

 

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Dieses Bild symbolisiert für mich den Urlaub: einfach dahingleiten, das Farbenspiel genießen, meine eigenen Wege gehen.