„Es ist gut, wenn uns die verrinnende Zeit nicht als etwas erscheint, das uns verbraucht oder zerstört, sondern als etwas, das uns vollendet.“ (Antoine de Saint-Exupéry)
Letzte Woche saß ich mit meiner Kollegin Barbara zusammen und wir unterhielten uns über das Älterwerden.
„Weißt du“, sagte sie, „je älter ich werde, desto öfter tue ich Dinge, die ich früher nie für möglich gehalten hätte. Ich habe mir ein Wochenendhaus gekauft, weil mir im Urlaub Ruhe wichtiger ist, als durch die Weltgeschichte zu reisen. Ich arbeite im Garten, ich stricke und mache selber Marmelade. Früher fand ich das alles total spießig. Jetzt lebe ich fast so, wie ich es mir als kleines Mädchen vorgestellt habe – die perfekte Hausfrau in ihrem kleinen Reich, mit Mann und zwei Kindern. Nur, dass ich statt zwei Kinder zwei Hunde habe und mit Peter nicht verheiratet bin.“
„Bei mir ist es genau andersrum“, antworte ich. „Ich habe als junges Mädchen immer davon geträumt Journalistin zu werden. Ich wollte über Menschen schreiben, die im Leben erfolgreich sind und über Menschen, die im Leben gescheitert sind. Ich wollte das Leben zeigen, wie es ist und damit für Toleranz und soziale Gerechtigkeit eintreten. Und ich wollte reisen, die ganze Welt sehen. Ganz große Träume hatte ich.“
Wir sind beide im sozialen Bereich gelandet. Sie, weil sie irgendwann genug davon hatte, Unternehmen zu beraten und etwas Sinnhaftes tun wollte. Ich, weil ich schon früh eine Art „Helfersyndrom“ kultiviert hatte und mir nicht zutraute, etwas in meinen Augen so Anspruchsvolles wie Journalismus zu studieren.
Die Arbeit mit Menschen macht mir bis heute Freude. Je mehr ich mich jedoch dem Rentenalter nähere, desto mehr Lust habe ich, kreativ zu sein. Ich male, ich beschäftige mich mit Kunst und ich schreibe. Nicht nur hier im Blog, sondern seit einiger Zeit auch zusammen mit anderen in einem kleinen Schreibatelier.
Ich erzähle Barbara davon und sie grinst.
„Witzig. Mir geht das genauso. Ich habe angefangen zu nähen und nehme Klavierunterricht.“
Ich erzähle ihr von meinem anderen Plan. In den nächsten Jahren möchte ich die Hauptstädte aller europäischen Länder besuchen und mir anschaue, wie die Menschen in den Städten leben.
„Es scheint ja irgendwie, dass wir beide jetzt damit anfangen, das zu tun, wovon wir als junge Menschen einmal geträumt haben“, stellt Barbara fest. „Du willst raus in die Welt und ich habe mir einen Ruheort geschaffen. Und wir sind beide dabei, endlich unsere Kreativität zu leben.“
Noch lange nach diesem Gespräch fühle ich mich beschwingt. Das Leben ist schön. Großartig. Ein Lebensabschnitt geht langsam zu Ende und gleichzeitig werden lang verblasste Aspekte meiner Persönlichkeit wieder lebendig und ich fühle mich eins mit mir selbst. Dabei gewinne ich inneren Abstand zu meinem Job, ich mache ihn gern, aber er verliert langsam eine Position im Mittelpunkt meines Lebens.