Momentaufnahme: Telefongespräch

……..

„Sag mal, worum geht es eigentlich auf deinem Blog?“

„Ganz ehrlich, ich weiß es selbst nicht so genau. Früher hatte ich immer Themen, die mich sehr beschäftigten, aber irgendwie sind mir die abhandengekommen.“

„Was für Themen?“

„Abnehmen, Selbstliebe, Verhaltensmuster, also eher so Psycho-Themen.“

„Und wie kommt es, dass du darüber nicht mehr schreibst?“

„Weil die Themen für mich abgeschlossen sind, ich sie beim Schreiben durchgearbeitet habe, meinen Standpunkt gefunden habe“

„Ok, aber gibt es denn jetzt nichts, was dich beschäftigt?“

„Im Moment werde ich vom Alltag aufgefressen. Peer ist nach seiner OP nicht wieder auf die Füße gekommen und nun bleibt alles an mir hängen. Haushalt, Garten, Hund, Einkaufen, Kochen usw. und dazu noch der Vollzeitjob und die Fahrerei nach Hamburg.“

 „Du meinst, du hast so viel zu tun, dass du nicht zum Schreiben kommst?“

„Ne, Zeit könnte ich mir nehmen, aber der Kopf ist leer, mir fällt nichts Sinnvolles ein“.

„Muss es denn immer sinnvoll sein?“

„Nein, aber zu banal sollte es auch nicht sein.“

„Du klingst irgendwie nicht so wirklich glücklich.“

„Bin ich auch nicht. Ich habe Angst, dass Peers Zustand so bleibt, er irgendwann im Rollstuhl sitzt. Ich fühle mich schlecht, wenn ich was für mich tue, während er so gut wie nie aus dem Haus kommt, den ganzen Tag im Sessel liegt und Schmerzen hat.“

„Wie lange geht das denn schon so?“

„Mindestens ein Jahr, und die OPs, die helfen sollten, haben es noch schlimmer gemacht. Im Moment ist er total abhängig von mir. Er hat Angst zu stürzen und traut sich nicht mal in den Garten deshalb“

„Was ist denn mit seinen Freunden?“

„Die leben alle weit weg und er war ja immer schon eher zurückgezogen. Das rächt sich jetzt“

„Du bist also die einzige Person, zu der er Kontakt hat.“

„Ja, fast, und damit wird er immer mehr von mir abhängig und dadurch fühle ich mich gefangen und hilflos, weil ich ihm nicht helfen kann, nichts tun kann, was es besser machen könnte. Und gleichzeitig bin ich genervt, weil ich selbst auch kaum noch aus dem Haus komm.“

„Ich verstehe. Es ist aber wichtig, dass du gut für dich selbst sorgst.“

„Ach, das ist so eine abgedroschene Phrase. Wenn ich wirklich für mich selbst sorgen will, dann müsste ich dreimal in der Woche Ausdauertraining machen, zweimal Krafttraining und meine Übungen für die Beweglichkeit. Außerdem jeden Stress vermeiden, meditieren und mich fleischlos ernähren. Du weißt ja, die Diabetes, die Arthrose, der hohe Cholesterinspiegel und diese Hauterkrankung. Aber wie ich das neben all dem anderen Kram auch noch hinkriegen soll, ist mir ein Rätsel.“

„Hey, ich wollte dich jetzt nicht belehren. Ich verstehe, dass gerade alles ein bisschen schwierig ist.“

„Ich versuche ja, jeden Tag so gut es geht zu leben. Was Schönes zu kochen, den Garten zu genießen, die Spaziergänge mit dem Hund.“

„Nimm Schreiben noch mit auf diese Liste. Das hat dir immer gut getan du machst es doch für dich, nicht für andere. Außerdem bist du ja dann auch im Haus, falls Peer etwas braucht.“

„Ok, ich versuch’s…. und sorry, ich will nicht negativ sein. Ich weiß ja, dass nichts so bleibt wie es ist und auch diese Phase vorübergehen wird. Irgendwie.“

„Gut.“

„So, und jetzt genug von mir. Wie geht es Dir? ….“

Alltagssplitter

Montag

Verschlafen. Stürze direkt vom Bett an den Schreibtisch. Bin dankbar, dass Peer schon mal Kaffee gekocht hat. Der Küchenstuhl, der mein Homeoffice ziert, ist trotz Kissen deutlich unbequemer als mein Bürostuhl.

Dienstag

In der Mittagspause mache ich den Abwasch und gehe schnell mit dem Hund Gassi. Die Sonne strahlt und ich muss mich zwingen, in mein Homeoffice zurückzukehren. Da der Fahrtweg entfällt, habe ich schon um 16.30 Uhr Freizeit. Herrlich! So könnte es immer sein.

Mittwoch

Präsenztag. Ich bin überrascht, wie sehr ich mich darüber freue, meine Kollegen zu sehen.  Kein Tratsch in der engen Teeküche, dafür bleibe ich auf dem Weg zu meinem Büro an jeder offenen Tür stehen, um ein bisschen zu plaudern. Im Flur riecht es nach Desinfektionsmitteln.

Donnerstag

Mein Sohn ruft an. Das Paket, das ich eine Woche vor Ostern aufgegeben habe, ist endlich angekommen. Eigentlich wollte ich im April ein paar Tage bei ihm in Berlin verbringen. Den Kurztrip nach Wien im Mai kann ich auch knicken. Der Osterbrunch mit der ganzen Familie ist ins Wasser gefallen und überhaupt… Dieser blöde Virus! Ich will, dass er verschwindet. Sofort!!!

Freitag

Die Sonne scheint. Warum nicht draußen telefonieren? 5 Minuten geht es gut, bis der Hund anfängt zu kläffen. Kurz vor 15.00 Uhr die letzte Mail ans Team. Wochenende! Ich schließe das Homeoffice und fahre in den Baumarkt – Blumen kaufen.  

Samstag

Überall in der Nachbarschaft brummen die Rasenmäher, ich stimme ein in das Konzert. Ich bin so dankbar, das schöne Wetter im Garten genießen zu können, ohne an die 2 Meter-Abstands-Regel zu denken.

So wie es ist, soll es nicht bleiben

In ein paar Tagen werde ich 60. Das finde ich nicht weiter schlimm, aber es löst  etwas in mir aus. Ich will nicht mehr so weitermachen, wie bisher.

Ich gebe euch ein Beispiel:

Vor vier Wochen hatten wir personellen Notstand. Ich hatte alle Hände voll zu tun, die Klienten zu vertrösten, wenn ihre Therapeuten nicht da waren, die Telefonate und Emails, die auf mich umgeleitet waren, zu beantworten, schnell mal anhand der Doku einen Bericht zu schreiben, den ein anderer längst hätte fertig haben sollen usw.

In der Woche hatte ich für den Freitag einen Urlaubstag geplant. Den Donnerstag davor hatte ich von Terminen frei gehalten, um meine eigenen, längst überfälligen Gutachten zu schreiben und den Papierkram zum Monatsende fertig zu kriegen.  Am Montag teilte mir die Personalabteilung mit, dass sie für den Donnerstag noch zwei Vorstellungsgespräche geplant hatten, an denen ich als Teamleiterin teilnehmen musste. Meine gar nicht mal so leisen Proteste ignorierten sie und ich fügte mich. Schließlich brauche ich ja neue Mitarbeiter.

Der Donnerstagmorgen begann mit einem langen Stau und 50 Minuten Verspätung. Als ich kam, warteten bereits drei Klienten vor meiner Tür. Jeder hatte Fragen und Anliegen, die nicht aufschiebbar waren, es ging um die Verlängerung ihres Aufenthalts und fehlende Übergangsgeldzahlungen. Normalerweise sind dafür die Sozialpädagoginnen zuständig, aber eine ist im Mutterschutz, eine hat uns verlassen und die Dritte ist krank. Es gibt noch eine Vierte, aber die arbeitet nur an 3 Tagen in der Woche und nicht an einem Donnerstag.

Kurz darauf stand ein junger Mann in meiner Tür, der im Internet über unsere Angebote gelesen hatte und sich nur mal kurz erkundigen wollte, wie das bei uns so läuft. Ich erklärte ihm freundlich, dass ich gern ein Aufnahmegespräch mit ihm führe, er dafür aber einen Termin vereinbaren müsse. Das verstehe er, aber er habe trotzdem ein paar Fragen, um sich darüber klar zu werden, ob wir denn die richtige Einrichtung für ihn sind. Nun, erwiderte ich, um das zu klären,  sind diese Aufnahmegespräche ja da, ob er denn einen Termin machen wolle. Das wollte er und während ich in meinem Kalender nach einer freien Stunde suchte, löcherte er mich weiter mit Fragen. Schließlich, nach 20 Minuten, gelang es mir ihn vor die Tür zu schieben.

Die beiden Vorstellungsgespräche waren enttäuschend. Der einen Bewerberin fehlten die Voraussetzungen, obwohl ich sie sonst gut fand, der andere hatte Gehaltsvorstellungen, die mich ganz blass vor Neid werden ließen, vor allem, weil er mit seinen 30 Jahren schon mehr verdiente hatte, als ich mit 60. Da tröstet mich dann auch mein Firmenwagen nicht mehr.

Ende vom Lied war, dass ich erst um 16.00 Uhr zu meinen Berichten und Verwaltungsaufgaben kam. Am Montag mussten diese den Kostenträgern bzw. dem Rechnungswesen vorliegen. Ich schaltete das Telefon aus und machte mich an die Arbeit. Es war fast 21.00 Uhr als ich schließlich das Haus verließ. Ich wurde mit einer freien Autobahn belohnt und schaffte es noch kurz vor 22.00 Uhr in den letzten offenen Supermarkt zu stürmen und Hundefutter und eine TK-Pizza für mich zu holen.

Am Freitag hatte ich meinen Urlaubstag. Den brauchte ich dringend, um endlich mal zu Hause klar Schiff zu machen. Den Garten machte ich dann am Samstag und am Sonntag war ich müde und kaputt.

Solche langen Tage habe ich vor jedem Urlaub und manchmal auch dann, wenn keiner ansteht. In den vergangen  Jahren war ich so gut wie nie krank.

Auf der Arbeit bin ich ein Kopfmensch, denke rasend schnell, treffe Entscheidungen und nehme mich selbst kaum wahr. Mein Körper hat bereits begonnen, sich zu rächen: Arthrose, Diabetes, ein Reizmagen und seit neuestem eine Autoimmunkrankheit der Haut. Auslöser: Stress.

Ich leide unter Bewegungsmangel und ich schlafe nicht genug. Damit muss nun Schluss sein.

Ich werde 60! Damit habe ich ein Alter erreicht, in dem ich den jungen Mitarbeitern wie ein Relikt aus der Steinzeit erscheine und auch sie sind mir oftmals fremd mit ihren Einstellungen und ihrer Arbeitshaltung. Aber es ist ihre Zeit. In 6 Jahren und 3 Monaten gehe ich in Rente und ich bin fest entschlossen, ab jetztmeinen Fokus auf das zu richten, was wirklich zählt. Meine Gesundheit, meine Familie, die wenigen Freunde, die ich noch habe, meinen Partner, dem Malen, Schreiben und dem Garten.

Mit anderen Worten, ich will meine Energie und Kraft nicht mehr nur für die Arbeit, sondern für mich nutzen. Sonst ist sie nämlich bald aufgebraucht.

Natürlich will ich weiterhin einen guten Job machen, aber als Leitung und mit 60 Jahren muss ich nicht mehr diejenige sein, die sich mit Grippe zur Arbeit schleppt, während anderen bei jedem Schnupfen mindestens drei Tage zu Hause bleiben. Ich will lernen, an die jungen, nachfolgenden Mitarbeiter abzugeben, ihnen Verantwortung zu übertragen und mich selbst zurückzunehmen, ob das meiner Geschäftsleitung nun passt oder nicht. Mit 60 Jahren und nach 25 Jahren in dieser Einrichtung habe ich es mir verdient, es etwas langsamer angehen zu lassen. Ich bin sogar überzeugt, dass unsere Abteilung davon profitieren wird. Eine Vorgesetzte, die heiter und gelassen ist, die anderen etwas zutraut und sich nicht in alles reinhängt, ist sicherlich motivierender als eine, die alles kontrolliert, nichts abgeben mag und die anderen so klein hält, oder?