Ein Brief an das neue Jahr

Liebes Neues Jahr,

erst einmal Danke, dass ich Dich kennen lernen darf. Das ist keine Selbstverständlichkeit und ich freue mich, dass auch all meine Lieben Deine Bekanntschaft machen.

Vielleicht wunderst Du Dich, dass ich Dir nicht wie sonst schon vorab eine Liste mit dem, was ich in Dir erreichen will, zugesandt habe. Aber weißt Du, eigentlich bin ich froh, wenn alles so weiter läuft wie bisher.

 Deine Vorgänger haben mich reich beschenkt. Ich lebe in einer funktionierenden Partnerschaft, verstehe mich gut mit meiner Familie, freue mich über gute Freunde, finde meinen Job immer wieder spannend und bereichernd und ich habe Hobbys, bei denen ich abschalte und entspanne. Dazu kehre ich jeden Abend in ein warmes und gemütliches Zuhause zurück, bin halbwegs gesund und trage wieder Größe 42.

 Weißt Du, als die Kinder anfingen flügge zu werden und ich in diese Lebensphase, die man ‘Wechseljahre‘ nennt, eintauchte, war ich mit einigen Deiner Vorgänger sehr unzufrieden.

Ich meinte, dass doch endlich mal ein Jahr kommen müsse, das mein Leben verwandelt, es zu einem Abenteuer macht. Ein Jahr, in dem ich so reich werde, dass ich reisen kann, wohin ich will, in dem ich wahnsinnig interessante Menschen kennen lerne, die Alltagslasten (ich denke dabei z. B. an die Wäscheberge) verschwinden und mein Leben ein Kaleidoskop aus berauschenden Ereignissen wird. In manchen Jahren wäre ich schon zufrieden gewesen, wenn ich dieses Kaff, in dem ich lebe, hätte verlassen können, um endlich wieder  Bars, Museen, Kino und schicke Geschäfte in greifbarer Nähe zu haben. Auch ein Liebhaber, am besten so ein Märchenprinz, der alle meine Träume wahr macht, wäre nicht schlecht gewesen, denn schließlich nehmen die Chancen, noch einmal diesen Rausch des Verliebtseins zu genießen, mit jedem Jahr ab, besonders für uns Frauen über 50.

Nun, keiner Deiner Vorgänger hat mir diese Wünsche erfüllt und das war wohl auch gut so. Ständig unglücklich und gnatschig zu sein, macht keine Freude. Um meine Chancen, ein glückliches Leben zu führen, zu erhöhen, nahm ich mir vor, abzunehmen. Es dauerte zum Glück nicht allzu lange, bis ich herausbekam, dass nicht das Gewicht mich daran hindert, ein glückliches Leben zu führen, sondern ich selbst. Ich war egozentrisch geworden, kreiste nur um mich und war der festen Überzeugung, dass Deine Vorgänger mir etwas schuldeten. Schließlich habe ich ja auch immer getan, was von mir erwartet wurde und nun sollte es bitte schön endlich einmal anders herum sein.

Es war wohl während Deines Vorgängers 2012, das ein Prozess begann, in der wieder Licht in mein dunkles Inneres kam. Ich wandte mich wieder den Büchern und Themen zu, die mich in einer anderen Lebensphase schon einmal berührt hatten. Themen wie Selbstverantwortung, Selbstliebe, Selbstfürsorge und Selbstheilung fanden wieder einen Raum in meinem Bewusstsein. Hin und wieder blitzten Erkenntnisse auf, manche versanken wieder in dem Sumpf der Negativität, andere setzten sich fest. Ganz besonders beeindruckte mich ein Satz, den ich in einem Buch mit täglichen Meditationen fand: „die Frage ist nicht, was Gott für Dich tun kann, sondern was Du für Gott tust“, so lautete er sinngemäß.

 Ich begann zu begreifen, dass es im Leben darum geht, aus dem, was einem geschenkt wird, das Beste zu machen, dass es nicht darum geht, das alles so läuft wie man es selbst für richtig hält,  sondern darum, die Augen aufzumachen und zu gucken, was denn wirklich um einen herum vorgeht. Sich dann einzubringen in diese Welt, die nun mal so ist, wie sie ist. Sich auf die Beziehungen einzulassen, die da sind, und die Möglichkeiten zu erkennen und zu nutzen, die tatsächlich da sind.

Ich verstehe nun auch, dass Selbstliebe und Egozentrismus  völlig gegensätzliche Dinge sind. Gut zu mir zu sein, auf meine innere Stimme zu hören, mich selbst zu achten, meine Wünsche und Bedürfnisse ernst nehmen, liebevolle innere Dialoge zu führen und die Verantwortung für mein Leben zu übernehmen, das verstehe ich heute unter Selbstliebe.

Selbstliebe zu üben und sich einzulassen auf das Leben und die Menschen vertragen sich gut miteinander, das haben mir Deine Vorgänger 2013 und 2014 gezeigt.

Liebes Jahr 2015, ich habe immer noch mal Momente, wo ich mit dem einen oder anderen in meinem Leben nicht so zufrieden bin. Ich bin immer noch oft undankbar, egozentrisch und gehe achtlos mit meinem Leben um. Aber es gibt eben auch die vielen anderen Momente, wo ich das Gefühl habe, so langsam zu begreifen, worum es im Leben geht. Deshalb wünsche ich mir nichts weiter von Dir, als das Du mir die Möglichkeit gibst, weiter zu wachsen, mich einzubringen und mit den Menschen, die mir wichtig sind, zusammen zu sein.

 Viele liebe Grüße

 Trina

Theos Waage

Theo hat eine altmodische Waage mit Zeiger. Eine große, die sicherlich einmal sehr teuer war.

Heute morgen konnte ich der Versuchung nicht länger widerstehen. Und siehe da, seine Waage zeigte 87 kg an. Habe ich tatsächlich abgenommen oder ist Theos Waage ungenauer als meine?

Egal, wenn ich wieder zu Hause bin, möchte ich, dass meine eigene Waage höchstens 87 kg, besser noch 86 kg anzeigt. Seit meiner Fressattacke bin ich langsam wieder ins Gleichgewicht gekommen. Ich esse zwar nach wie vor viel, aber sehr gesunde Sachen: Gemüse, Obst, Knäckebrot, kaum Fett, kein Fleisch. Dazu trinke ich Unmengen an Apfeltee, grünem Tee und Kräutertee. Ich mache morgens 10 Minuten Gymnastik, meditiere danach einige Minuten und gehe nach wie vor zweimal am Tag mit dem Hund spazieren.

Ich habe mich dazu entschlossen, die Zeit bei Theo als „Trainingsfeld für das Erlernen von  Selbstfürsorge“ zu nutzen. Ich neige ja dazu, die Bedürfnisse anderer vor meine eigenen zu stellen und mir dadurch Stress zu machen.  Jetzt übe ich, dafür zu sorgen, dass es Theo gut geht, ohne mich selbst dabei zu vernachlässigen.

So werde ich den Sonnenschein für einen Spaziergang nutzen.Sicherlich kann Theo eine Stunde allein sein. Putzmittel und dergleichen habe ich weggeschlossen und ihm ist es zurzeit zu kalt, um rauszugehen. Er ist also sicher im Haus und vielleicht ganz froh, mal eine Stunde ohne „Aufsicht“ zu sein.

Es geht nicht nur um Kalorien

Mehr Bewegung und weniger Kalorienzufuhr sind zwar die Grundvoraussetzungen, um das Gewicht zu reduzieren, aber um das Essverhalten auf Dauer zu verändern und Rückfälle in alte Verhaltensmuster zu vermeiden gehört noch mehr dazu.

Abnehmen hat etwas mit Selbstfürsorge zu tun. Mit Selbstachtung und mit Selbstliebe.

Ein Grund für meine Gewichtszunahme ist mit Sicherheit der Stress, den ich mir in den vergangenen Jahren teilweise auch selbst geschaffen habe. Ich neige zum Überfunktionieren, übernehme gern die Verantwortung für alles. Bevor ein Mitarbeiter einen Fehler begeht, nehme ich das Ganze lieber selbst in die Hand. Dumm, denn so lernt er nichts, aber typisch für mich.

Bei neuen Projekten bin ich die erste, die ihre Mitarbeit anbietet. Ich bin mit Leib und Seele bei der Arbeit und vergesse mich dabei oft selbst.

Irgendwann, meist in den Nachmittagsstunden, überkommt mich der Heißhunger. Bei uns im Hause gibt es einen Kiosk, der alles bereit hält, was bei niedrigem Blutzucker Freude macht: Schokoriegel, Franzbrötchen, Eis und Cola.

Ich bin Stammkundin in diesem Kiosk. Die Süßigkeiten verschlinge ich meist schon auf dem Weg ins Büro, und dann setze ich meine Selbstausbeutung fort.

Dieses Verhalten ist mir seit einiger Zeit bewusst, aber bislang ist es mir nicht gelungen, das Muster auf Dauer zu unterbrechen. Ich vernachlässige meine Bedürfnisse und kompensiere sie mit Essen. Ich laufe acht oder neun Stunden auf Hochtouren, und, das muss ich an dieser Stelle deutlich sagen, niemand zwingt mich dazu.

Es ist mir zur Gewohnheit geworden, die vermeintlichen Bedürfnisse anderer (Arbeitgeber, Klient, Kollege, Kunde usw.) vor meine eigenen zu stellen. Während ich andere ermutige, sich abzugrenzen, sich Zeit zu nehmen, gut zu sich zu sein, missachte ich meine Bedürfnisse in hohem Maße.

Um wirklich abzunehmen, werde ich lernen müssen, auf mich zu achten. Sorgsam, behutsam und liebevoll mit mir umzugehen. Bezogen auf meine Arbeit bedeutet dies, delegieren zu lernen, gelassener zu werden, mein Kontrollbedürfnis aufzugeben. Es bedeutet, für mich selbst sorgen zu lernen. Pausen zu machen, wenn ich müde werde. Mir frische Luft und Bewegung zu gönnen, um Stress abzubauen. Obst, Nüsse oder Rosinen mitzunehmen und auch zu essen, bevor mich der Jieper auf Süßigkeiten anfällt.

Nun geht es darum, die Erkenntnis in die Tat umzusetzen!