Alltagssplitter – Juli 20

Montag: Wie immer spät dran, Autobahn voll, in letzter Minute ins Büro gestürzt und vor dem ersten Kaffee noch ins Meeting. Es folgt ein Gespräch mit der Personalleiterin und Frau K., die bald aus der Elternzeit zurückkommt. Die Geschäftsleitung will sie loswerden. Zu teuer und durch Corona sind wir nicht ausgelastet. Brauchen keine weiteren Mitarbeiter. Wir akzeptieren ihre Stundenzahl, aber teilen ihr mit, dass ihre Leitungsposition abgeschafft wurde und ihr Einkommen sich verringern wird. Sie behält die Fassung. Abends sehe ich, dass sie sich bei Xing angemeldet hat.  

Dienstag: halber Urlaubstag. Der Hund hat ein schwaches Herz und braucht einen Ultraschall. Mit gebührenden Abstand zu dem Mops vor uns zur Anmeldung. Anliegen geschildert, Telefonnummer hinterlassen, ein Tierpfleger nimmt mir den Hund ab. Ich muss auf dem Parkplatz warten. Die Tierärztin ruft mich auf Handy an. Ich erkläre, worum es geht. Sie wird den Hund untersuchen und mich dann zurückrufen. Es regnet. Ich warte im Auto. Ärgere mich, dass ich nichts zum Lesen mitgenommen habe. Nach 30 Minuten werde ich ungeduldig. Wandere auf dem Parkplatz auf und ab. Plötzlich steht der Tierpfleger mit dem Hund vor mir. Ich bringe sie ins Auto. Warte. Endlich, die Tierärztin ruft an. Es sieht nicht gut aus. Aber mithilfe weiterer Medikament und regelmäßiger Kontrollen hat sie noch ein bisschen Lebenszeit vor sich. Sie ist 15. Ich danke der Tierärztin. Diese bittet mich zu warten, bis die Anmeldung bei mir anruft. Nach weiteren 30 Minuten bin ich sicher, dass sie uns vergessen haben. Spaziere ins Gebäude, mit Maske natürlich. Die Dame hinter der Plexiglasscheibe lächelt mich an. Die Papiere sind zeitgleich mit mir eingetroffen. Ich zahle den dreistelligen Betrag, packe die drei Medikamente ein und gehe. Im Auto blickt mich der Hund vorwurfsvoll an.

Mittwoch: Ein Urlaubstag. Peer hat einen Termin in der norwegischen Botschaft. Er braucht einen neuen Pass. Wir fahren früh morgens nach Berlin. Durch Meck-Pomm zur A24, der Verkehr fließt. Das Navi leitet mich sicher zur Botschaft. Ich bekomme einen Parkplatz direkt gegenüber. Besser geht’s nicht. Helfe Peer über die Straße. Warten 45 Minuten im Regen. Sind zu früh dran. Corona. Niemand kommt vorm vereinbarten Termin ins Gebäude. Kein Café in der Nähe. Pünktlich um 13.00 Uhr betreten wir die Botschaft. Nach 20 Minuten ist alles erledigt. Wir verlassen die Hauptstadt. Stau auf der Heimfahrt. Das Navi leitet mich durch idyllische brandenburgische Dörfer. Wir sehen Kraniche. Unterwegs halte ich, um einen Spaziergang mit dem Hund zu machen. Peer wartet im Auto. Als ich zurückkomme, ist er sauer. Aus 10 Minuten sind 30 geworden. Nach 6 Stunden halte ich am Supermarkt. Ärgere mich über eine unfreundliche, langsame Kassiererin. Kaufe unüberlegt ein, gebe zu viel Geld aus. Ärgere mich über eine unfreundliche Kassierin. Will endlich nach Haus. Es ist nach 20.00 Uhr. Peer hat Schmerzen. Das lange Sitzen im Auto hat ihm nicht gut getan. Mir auch nicht. Gehe früh ins Bett.

Donnerstag: Die Sonne scheint. Die Autobahn ist frei. Die Kollegen gut gelaunt. Alles läuft rund. Abends Sport. Ich bin begeistert.

Freitag: Herr S. hat 20-jähriges Dienstjubiläum. Es gibt Schnittchen. Eine Rede von der Geschäftsleitung. Ich höre nicht zu. Esse ein fades Käsebrötchen. Gratuliere Herrn S. Verziehe mich ins Büro. Schreibe Berichte. 15.30 Uhr, Feierabend. Auf dem Heimweg telefoniere ich mit meiner Mutter. Sie berichtet vom Streit mit ihrer Freundin. Verspreche, sie am Sonntag zu besuchen. Halte kurz vor der Stadt an. Nehme meine Stöcke und walke eine Stunde. Wochenende.  

Brief an Martina (2)

Liebe Martina,

ich freu mich, dass das mit Deiner Reise nach Chile nun in die Planung geht. Und wie schön, dass Lena nun endlich eine Wohnung gefunden hat. Wann zieht sie ein? Die Preise in Hamburg sind ja astronomisch hoch, aber Berlin ist auch nicht besser. Markus hat fast 3 Monate gesucht und zahlt fast 900 Euro für 2 Zimmer in einem nicht angesagten Viertel.

Ich habe gerade mal wieder ein Schreiben von der Rentenversicherung bekommen, in dem sie mir mitteilen, wie viel Rente ich zu erwarten habe.  Ganz ehrlich, wenn ich von dem Betrag noch Steuern und Krankenversicherung zahlen soll, bleibt nicht mehr viel. Große Sprünge machen ist damit nicht drin. Nichts mit Reisen und genießen. Wir Frauen sind immer noch angeschmiert, besonders wir ehemals Alleinerziehenden. Jetzt rächt es sich, dass ich wegen der Kinder  fast 6 Jahre nur Teilzeit gearbeitet habe und nach dem Studium damals Ende der 80iger Jahre nur so wenig verdient habe. 1800 DM brutto habe ich in meinem ersten Job bekommen, dafür, dass ich versucht habe, Aussiedlern und Asylbewerbern die deutsche Sprache beizubringen. Und eine Witwenrente hab ich auch nicht zu erwarten, Peter war immer selbstständig und wir sind ja nicht verheiratet.

Neulich hab ich Jens  getroffen, erinnerst Du Dich, der damals immer davon sprach, irgendwann ein Buch schreiben zu wollen, der arbeitet jetzt  als Dozent bei Bildungsträgern, in so Maßnahmen für langzeitarbeitslose Jugendliche.  Weißt Du, dass die mittlerweile für 15 Euro die Stunde arbeiten? Und das ohne Festanstellung, jagen sie von einem Träger zum anderen.  Und die Auftraggeber dieser Träger sind unsere Institutionen:  Rentenversicherung, Arbeitsamt, Job Center.  Alle wollen sparen, und das tun sie konsequent. Bei Ausschreibungen entscheidet die Wirtschaftlichkeit und um die zu erreichen, müssen die Träger die Lohnkosten niedrig halten und wenn dann jemand wie Jens  arbeitslos wird, muss er gleich auf Hartz IV, weil er ja freiberuflich schuftet.  Der ist ganz schön frustriert, aber jetzt mit Ende 50 werden die Möglichkeiten für ihn auch immer weniger.

Da kommt noch richtig was an Altersarmut auf uns zu. All die Menschen, die in den 80iger und 90iger Jahren immer wieder arbeitslos oder in Maßnahmen waren. Die Leute, die in Zeitarbeitsfirmen für 6,80 € gewerblich geschuftet haben und all die Frauen natürlich, die wegen der Kinder lange zuhause waren.  Erinnerst Du Dich, wie viele der Frauen, die wir kannten, als unsere klein waren, damals nicht gearbeitet haben. Krippenplätze gab es damals ja auch so gut wie noch gar nicht. Wer da keinen Mann mit gutem Einkommen hat, macht am Ende eine lange Nase. In meinem Malkurs ist so eine Frau. Ihr Mann hat sie verlassen, als sie 54 war. Während ihrer Ehe hat sie sich um die vier Kinder, seine Eltern und seine Tante gekümmert, alle gepflegt  und ihm den Rücken freigehalten. 3 Jahre muss er ihr Unterhalt zahlen, dann muss sie auf eigenen Füßen stehen. Was hat sie da denn für Möglichkeiten? Sie war ja nie berufstätig. Wäre sie schlau gewesen, hätte sie die Scheidung verweigert. Dann hätte er weiter für sie zahlen müssen. Stattdessen freut sich jetzt seine Neue. Klar, durch den  Versorgungsausgleich kriegt sie später eine Rente, aber wie viel wird das sein? Wenn es ihr nicht gelingt einen Job zu finden, landet sie in Hartz IV. Dass die Frau nicht gut gelaunt ist, kann ich echt verstehen.

Aber genug Gemecker. Ich hab’s geschafft, den Termin beim Hautarzt auf Anfang Januar zu legen. Immer noch lange hin, aber vier Wochen früher als ursprünglich geplant. Wahrscheinlich lässt sich mittlerweile mit Schönheitschirurgie und Faltenreduzierung mehr verdienen als mit Medizin, auf jeden Fall war auch bei anderen Ärzten kein früherer Termin zu kriegen. Entweder nehmen die nur  Privatpatienten oder sind über Monate ausgebucht.

Bist Du schon in Weihnachtsstimmung? Ich finde, der Dezember ist immer so voll mit allen möglichen Terminen und bei uns auf der Arbeit kriseln ganz viele Patienten, Weihnachtszeit eben, und dann muss ich diesen Monat noch zum Zahnarzt und  die Operation von Lilly steht an.

Dienstag haben wir Termin beim Tierarzt. Die Herztabletten schlagen gut an, sie ist wieder viel munterer und die Tierärztin ist zuversichtlich, dass sie nach der Entfernung des Tumors wieder ganz gesund wird.

Dann muss ich noch meine Steuererklärung noch machen und  mit meiner Mutter ins Theater, die Weihnachtsfeier ist auch noch diesen Monat  und wir sind heute mit Dörte und Max zum Weihnachtsmarkt verabredet.

So, und jetzt muss ich erst mal die Küche aufräumen und mit dem Hund raus. Nachher kommt Nils mit der Kleinen vorbei, ich freu mich schon. Mach’s gut liebe Martina und ich hoffe, dass Du nächstes Jahr endlich mal wieder in den Norden kommst.

Bis ganz bald, liebe Martina,

Deine Trina

Als ich heute Morgen mit meinem Hund spazieren ging,….

… die Sonne strahlte, die Vögel zwitscherten und mir gut gelaunte Menschen mit Brötchentüten entgegen kamen, ging es mir durch den Kopf, wie gut ich es eigentlich habe. 

  • seit 57 Jahren lebe ich in Frieden und kenne Krieg nur aus den Erzählungen meiner Großeltern und aus den Medien,
  • ich habe immer ein Dach über den Kopf gehabt und in einem warmen Bett geschlafen, friere nur, wenn ich mich zu dünn anziehe und kenne Hunger nur aus  Zeiten, als ich noch blödsinnige Hungerkuren machte  (z. B. die Sherry-Käse-Diät)
  • es gibt Menschen, die ich liebe, meine Söhne, ihre Freundinnen und meine bezaubernde Enkelin und meinen Partner
  • es gibt viele Menschen in meinem Leben, die ich mag und schätze, mit denen ich mich austauschen kann und die mein Leben bereichern,
  • ich durfte die Schule besuchen und die Universität abschließen und habe eine gute Bildung, die es mir erlaubt, einen Beruf auszuüben, den ich mag, und die mir hilft, mein Leben bewusst zu leben,
  • ich habe bislang alle Krisen gemeistert, egal, ob es wirtschaftliche Probleme waren, Scheidung, gesundheitliche Sorgen oder einfach nur Lebensfrust, und ich bin durch jede schwierige Zeit stärker geworden und habe daraus gelernt (hoffe ich jedenfalls :-))
  • Malen, Schreiben, im Garten arbeiten, mit dem Hund durch den Wald gehen, stricken, Zeitung lesen, mich mit Krimis gruseln, neue Rezepte ausprobieren, alte Filme gucken, Norwegisch lernen – es gibt viele Dinge, die ich gern tue, die mich interessieren und die mein Leben bereichern und ich habe die Möglichkeit, all das auch zu tun,
  • ich lebe in Freiheit, darf sagen und schreiben, was ich denke, darf reisen, wohin ich mag, kann selbst entscheiden, ob und wie viel ich arbeite, wie ich mich kleide und mit wem ich zusammen bin.

Der liebe Gott hat es gut mit mir gemeint und ich bin dankbar dafür.