Meine Sicht der Dinge: Flüchtlingskrise

Wie wohl die allermeisten von uns verfolge ich die Berichte und Debatten über die Flüchtlingskrise in den Medien. Am Arbeitsplatz, im Freundeskreis und in der Familie sie Thema Nr. 1. Wir alle spüren, dass wir vor großen  gesellschaftlichen Herausforderungen stehen, die jeden von uns betreffen. Ich habe lange überlegt, ob ich meine Sicht der Flüchtlingskrise hier thematisieren will. Das Bedürfnis, meine Meinung zu äußern, ist in den letzten Wochen immer größer geworden und da Schreiben nun mal mein Mittel der Auseinandersetzung mit mir selbst ist, werde ich künftig auch meine ganz persönlichen Gedanken dazu äußern.

In den vergangenen Monaten habe ich an mir ganz neue, unbekannte Reaktionen entdeckt. Auf manche Artikel in Zeitungen und Szenen im Fernsehen habe ich hochemotional reagiert, ich habe Ängste und Sorgen gespürt und ich habe mich selbst in Frage gestellt. Schließlich habe ich mich immer für einen vorurteilsfreien und aufgeklärten Menschen gehalten und plötzlich spürte ich Impulse, eine ganze Gruppe von Menschen aufgrund ihrer Religion und der Taten einiger ihrer Mitglieder zu verurteilen. In Diskussionen habe ich Aggressionen entwickelt, mich zu Äußerungen hinreißen lasse, die ich vor einigen Wochen noch strengstens verurteilt hätte. Bin dann wieder umgeschwenkt auf einen versöhnlichen Kurs. Die Polarisierung in den Medien hat mich erschreckt und meine Gefühle mal in die eine, mal in die andere Richtung hochgepeitscht. Ich habe gemerkt, wie leicht ich zu manipulieren bin. Manchmal hatte ich das Gefühl, entweder uneingeschränkt „für“ Flüchtlinge sein zu müssen oder zu riskieren, als  rassistisch und „rechts“ zu gelten.

Ein gesellschaftliches Problem kann nur durch die Menschen dieser Gesellschaft gelöst werden. Gesetze allein reichen nicht. Das Verhalten jeden einzelnen entscheidet, ob ein gesellschaftliches Zusammenleben gelingt. Für mich bedeutet dies, mir zunächst einmal Gedanken darüber zu machen, wie ich über diese „Krise“ wirklich denke. Klarheit zu gewinnen, darüber was mir wichtig ist, wo ich stehe, wo ich meine Gestaltungsmöglichkeiten in dieser gesellschaftlichen Situation sehe.

Nun, ich glaube, diese Einwanderungswelle birgt Chancen und Gefahren und es wichtig, dass wir alle uns Gedanken darüber machen, wo wir uns positionieren und was wir dazu beitragen können und wollen, um diese Herausforderung gemeinsam zu bewältigen. Dann kann vielleicht sogar ein neues gesellschaftliches Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen, ein Konsens, ein Bewusstsein dafür, dass wir alle gemeinsam dazu beitragen können, in einer freien und gerechten Gesellschaft zu leben, in der jeder seinen Platz finden kann. Ich finde es positiv, dass selbst Menschen, die sonst kein politisches Interesse zeigen, sich nun für Politik interessieren.

Nach wie vor glaube ich, dass wir das schaffen können, die Bewältigung der Flüchtlingskrise und die Integration der Menschen, die zu uns kommen.

Ich glaube aber auch, dass uns dies nur gelingt, wenn wir absolut ehrlich und offen miteinander umgehen, unsere Befürchtungen und Ängste äußern dürfen, ohne dafür verurteilt zu werden. Wenn wir sagen dürfen, dass wir uns überfordert fühlen, wenn wir unsere Hilflosigkeit zugeben dürfen, wenn wir nicht nur die Chancen, sondern auch die Risiken benennen dürfen und aufhören, Dinge schwarz zu malen, zu übertünchen oder zu idealisieren.

Probleme müssen benannt werden dürfen.

Es ist unrealistisch zu erwarten, dass ein Zustrom von einer Million Menschen mit einem uns teils fremden kulturellen Hintergrund keine Probleme hervorruft. Wir müssen diese Probleme benennen und nach Lösungen suchen. Wir müssen auch die Chancen erkennen und nutzen. Und vor allem dürfen wir nie vergessen, dass,  egal woher wir kommen, wir Menschen sind und ein paar Gemeinsamkeiten haben. Nach meiner Erfahrung gehören dazu der Wunsch, genug zu essen zu haben und vor Kälte, Hunger und Gefahren geschützt zu sein, Kontakt und Gemeinschaft mit anderen Menschen, soziale Anerkennung zu bekommen, seine Kinder zu beschützen und für sie das Allerbeste zu wollen, sich selbst zu entfalten und einen Sinn im Leben zu finden. Das Recht danach zu streben, haben alle Menschen, egal woher sie kommen.

Psychische Erkrankungen

Die Gefühle und die Probleme psychisch kranker Menschen sind keinem von uns fremd.

Angst, Selbstbezogenheit, mangelndes Selbstwertgefühl, Selbstzweifel, Selbsthass, Wut, Groll, Trauer, Hoffnungslosigkeit hat jeder von uns in der einen oder anderen Lebensphase schon einmal erlebt. Jeder  von uns kennt  z. B.  Angst. Angst ist wichtig, sie mahnt uns zur Vorsicht. Angst, ohne Anlass, Angst, die so groß ist, dass sie uns handlungsunfähig macht, Angst, die zur Panik wird, uns verschlingt und auffrisst, die erleben die meisten von uns zum Glück nie oder nur für kurze Momente. Ein psychisch kranker Mensch, der an einer Angsterkrankung leidet, erlebt dieses Gefühl sehr oft. Die Angst ist so groß, dass manche ihre Wohnung kaum mehr verlassen können oder nicht in der Lage sind, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren.

Wer kennt das nicht? Man ist auf dem Weg zur Arbeit und plötzlich schießt uns der Gedanke durch den Kopf „habe ich eigentlich das Bügeleisen abgestellt?“ Am liebsten würden wir umdrehen und nachgucken. Meist lassen wir das, beruhigen uns, dass selbst wenn das Eisen an ist, nicht viel passieren kann und vergessen den Vorfall ganz schnell. Es gibt Menschen, die können das nicht. Die stehen morgens um Vier auf, damit sie alle Zwangsrituale vor der Arbeit durchführen können.

Ich kenne eine Frau, die vor dem .Verlassen des Hauses mindestens fünfmal kontrollieren musste, ob alle Geräte ausgeschaltet, die Fenster geschlossen, die Milch im Kühlschrank steht usw..  Eine andere musste auf dem Weg zur Arbeit mit dem Auto immer wieder umkehren, um sich zu vergewissern, dass sie den Radfahrer, den sie überholt hatte, nicht doch angefahren hatte. Zwangsgedanken treiben sie zu solcher Handlung. Auch wenn sie weiß, dass sie niemanden verletzt hat, kommt ihr der Gedanke „was wenn Du den Radfahrer umgefahren hast und es nicht bemerkt hast?“ Der Gedanke ist mit abgrundtiefer Angst verbunden.

Selbst wenn diese Menschen es bis zur Arbeit schaffen, scheitern sie dann oft doch im Job, weil sie auch da viel zu langsam sind, auch im Job alles  kontrollieren müssen  oder der Gang zur Toilette ewig dauert. Irgendwann reichen die Kräfte für so ein Leben nicht mehr. Zwangserkrankungen und Angsterkrankungen sind eng miteinander verbunden. Viele Zwänge wehren Ängste ab.

Wir alle  habenunsere grauen Tage, an denen wir zu nichts Lust haben, an denen uns die Welt trist erscheint, unsere Freunde als anstrengend und die tägliche Arbeit als mühevoll. Wir kommen über diese Tage hinweg. Müssen uns vielleicht ein wenig ausruhen, mal wieder was Schönes machen, eine Auszeit nehmen und unsere Stimmung hebt sich wieder. Ein depressiver Mensch bleibt im grauen Schleier gefangen. Schlimmer noch, so manch einer fällt in die Dunkelheit, kann gar nichts mehr empfinden, selbst die Angst ist verstummt und der Körper so  schwer, dass das Aufstehen die Kräfte übersteigt.

Psychische Erkrankungen sind grausam, sie zerfressen die Seele. Das, was wir für einen kurzen Moment oder in einem für uns noch erträglichem Maße fühlen, empfindet ein psychisch kranker Mensch ständig oder im Extrem. Im schlimmsten Fall sowohl ständig als auch extrem. Nicht jeder schafft es, die Hilfe zu finden, die er braucht. Es fehlen Therapieplätze.

Einige Krankheiten machen nicht nur dem Erkrankten selbst Angst, sondern auch seinen Mitmenschen. Wenn jemand Stimmen hört, überzeugt ist, dass etwas oder jemand ihm Böses will, wenn der Kontakt zur Realität komplett verloren geht, dann kann der Versuch, sich einzufühlen  unsere eigenen Grenzen in Frage stellen. Ohne Medikamente sind diese Erkrankungen nur in wenigen Ausnahmefällen in den Griff zu bekommen. Die Medikamente haben jedoch Nebenwirkungen. Manche Menschen nehmen stark zu, wirken verlangsamt oder zeigen nur wenige Gefühlsregungen. Sie haben es schwer, diese Menschen, aber auch sie gehören zu uns und verdienen es, nicht als Kranke, sondern als Mitmenschen angenommen zu werden.

Denn neben kranken oder geschädigten Anteilen hat jeder ganz viele gesunde Anteile, die es wahrzunehmen und zu stärken gilt. Auf der Arbeit ertappe nicht nur ich mich dabei, mich zu sehr auf die kranken Anteile zu konzentriere und dabei die Ressourcen unserer Klienten zu übersehen. Das tut niemanden gut. Wenn wir uns auf die Schwächen konzentrieren, bestärken wir sie und produzieren Misserfolge.

Im Laufe der Jahre konnte ich beobachten, dass die Menschen, die ihre Aufmerksamkeit darauf richten,  wie man gesund leben kann, was man selbst für sein eigenes Wohlbefinden und persönliches Wachstum tun kann, besser mit ihren Erkrankungen zurechtkommen, als diejenigen, die die Verantwortung für ihre Genesung an Therapeuten und Medikamente abgeben.  Wie bei allen Erkrankungen können Ärzte und Therapeuten nur den Weg zur Genesung weisen, gehen muss ihn jeder selbst. Wer seine Medikamente nicht nimmt, nicht daran arbeitet, krank machende Einstellungen und Glaubenssätze zu erkennen und durch gesunde zu ersetzen, sich nicht traut, einmal neue Verhaltensweisen zu erproben, bleibt meist in seiner Krankheit gefangen. Er kreist nur um sich selbst und nimmt gar nicht mehr wahr, was das Leben für wunderbare Chancen und Möglichkeiten bietet, wie viel Gutes es auch für ihn bereithält.

Besonders berühren mich Menschen, die in früher Kindheit traumatisiert wurden. Ihre Seelen sind zerbrochen und zersplittert, bestehen aus vielen Fragmenten, die sie  oft mühsam zusammen halten und die oft doch  die kleinste Erschütterung wieder einstürzen können. Ich habe großen Respekt vor diesen Menschen, die (so früh) im Leben schon  Unerträglichem ausgeliefert waren  und häufig mutig und verzweifelt darum kämpfen, ein normales Leben zu führen. Das Erlernen gesunder Glaubenssätze ist auch für sie wichtig, aber sie brauchen vor allem absolute Verlässlichkeit, Annahme und Akzeptanz, um langsam wieder Vertrauen in andere Menschen und das Leben zu gewinnen. In meinen Berufsjahren habe ich grade diese Menschen mit einer ungeheuren Kraft für ihr Leben kämpfen und große Fortschritte in der Genesung erreichen sehen.

Ich bin weder Psychologin noch Therapeutin, meine Kontakte zu unseren Klienten sind eher oberflächlich, doch erlebe ich ihre Entwicklung mit und immer wieder bringt  die Begegnung  mit ihnen einen Teil in  mir selbst zum Klingen und so mancher Artikel, den ihr hier lest, ist ein Nachhall davon.

Ein Lebensmuster, Teil 2

Wer stets versucht, allen zu gefallen, der sitzt irgendwann zwischen allen Stühlen. Leider hat derjenige, der zwischen allen Stühlen sitzt, keinen eigenen Platz. Er bezieht auch nicht wirklich Position. Wenn alles gut geht, fällt das niemanden auf.

Unsere dicke, nicht mehr ganz junge Frau war Meisterin darin geworden, ihre Positionen zu wechseln, und wenn das einmal jemanden auffiel und er sich beschwerte, dann war unsere nicht mehr ganz junge, dicke Frau eine Meisterin darin geworden, stets alle Gemüter zu besänftigen und nicht selbst ins Zentrum der Kritik geraten. So hatte sie zwar stets ihre Kraft darauf verwandt hatte, anderen  gefällig zu sein und brav deren Erwartungen zu erfüllen, aber es war ihr auch gelungen, sich stets in der Rolle der „Guten“ zu fühlen und Konflikten aus dem Weg zu gehen. Dies nicht nur in der Familie, sondern auch auf der Arbeit.

Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube zu meinen, dass Menschen, die sich stets an den Bedürfnissen anderer orientieren, selbstlos sind. Im Gegenteil, oft haben sie große Angst, ihre eigenen Bedürfnisse und negativen Gefühle wahrzunehmen oder sie gar zu zeigen. Sie beschäftigen sich viel damit, wie andere sie wahrnehmen und hoffen darauf,  dass die Menschen, denen sie sich so meisterhaft anpassen,  sie durch Liebe und Anerkennung belohnen, oder gar ihre Bedürfnisse erraten und erfüllen. Tun sie dies nicht, dann  fühlt sich unser gefälliger Mensch so manches Mal als Opfer und vergisst dabei, dass niemand ihn gebeten hat, sich ungefragt für das Wohlergehen aller verantwortlich zu zeigen.

Als unsere dicke und nicht mehr junge Frau dies  erkannte, wurde sie sehr böse auf sich. Sie verunglimpfte sich als wankelmütiges Weichei, rückgratloses Ungeheuer und  Versagerin. Kein gutes Haar ließ sie an sich. Sie meinte, als Mutter versagt zu haben, empfand sich als schlechte Leitung und  als Springmaus für alle. Schlimmer noch, ihr wurde plötzlich klar, wie selbstzentriert  und manipulativ sie häufig handelte. Wie oft war sie einfach davon ausgegangen, zu wissen, was der andere brauchte. Stets war es ihr wichtiger gewesen, vor sich und anderen gut da zu stehen, statt sich wirklich in den anderen einzufühlen. Sie schämte sich dafür und fühlte sich schuldig für ihren Egoismus.

Aus lauter Wut auf sich selbst, fraß sie noch mehr. Sie konnte sich überhaupt nicht mehr leiden und beschloss, sich zu ändern. Von nun an würde sie sich stets  eine eigene Meinung bilden,  immer eine klare Position beziehen, Konflikte auszutragen und konsequent auf sich selbst achten.

Sie stellte schnell fest, dass es ihr nicht gelang. Immer wieder fiel sie in ihr vertrautes Muster zurück.

Sie hatte den wichtigsten Schritt unterlassen: zu lernen, sich selbst so anzunehmen und zu lieben, wie  sie nun einmal war.   

Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass sich hinter ihrem Verhalten der Wunsch nach Kontrolle verbarg,  und hinter dem Wunsch nach Kontrolle die Angst, verlassen, allein und ungeliebt zu bleiben. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand sie um ihrer selbst willen lieben konnte.  

Sie war  ein Mensch geworden, der  gefallen will und deshalb jedem gefällig ist, ein Mensch, der meint, immer verfügbar sein zu müssen, weil er tief im Inneren glaubt, dass alle anderen wichtiger und besser sind als er, und ein  Mensch, der keine eigene Position beziehen mag, weil dann die Gefahr besteht, jemanden gegen sich zu wenden.  Ein Mensch, der lieber manipuliert als offen und direkt seine Anliegen zu äußern.  Aber sie war auch ein Mensch, der freundlich und hilfsbereit ist, ein Mensch, der andere Menschen mag, der gewissenhaft und zuverlässig, der einfühlsam und empathisch und warmherzig und liebevoll, intelligent und klug ist.   

Wir können uns erst verändern, wenn wir üben, uns selbst mit unseren Schwächen und Verletzungen, Ängsten und Charakterfehler wirklich anzunehmen und zu lieben. Dabei dürfen wir aber unsere Stärken, Talente und guten Eigenschaften nicht übergehen, denn jeder Mensch hat neben seinen Mängeln auch starke Seiten, Begabungen und Fähigkeiten und diese müssen wir uns ebenso bewusst machen und lieben und akzeptieren lernen.  

Wir entwickeln uns über unsere alten Muster hinaus, wenn wir begreifen, dass wir als Erwachsene selbst für uns, unsere Gefühle, Gedanken und Einstellungen verantwortlich sind und die Befähigung haben, für uns selbst zu sorgen.  Dabei brauchen wir viel Zeit und Geduld,  um ein Muster, dem  wir 20, 30 oder gar 40 Jahre gefolgt sind, durch ein neues zu ersetzen.

 Nachdem unsere nicht mehr junge, dicke Frau begann, dies zu verstehen und achtsamer mit sich umzugehen,  ging es ihr nach und nach immer besser.   Sie erkannte ihr Muster in verschiedenen Varianten bei vielen anderen Menschen wieder und sah ein, dass sie in ihren Schwächen nicht einzigartig war. 

Sie begann, sich auf ihre positiven Seiten zu konzentrieren. Immerhin hatte sie trotz ihrer Muster,  einiges im Leben erreicht.  Ihre Kinder kamen gut im Leben zurecht. Sie lebte in einem schönen Haus und hatte einen verlässlichen Partner. Auf der Arbeit war sie erfolgreich, und sie hatte einen reichen Schatz an Kenntnissen und Erfahrungen an ihre jungen Mitarbeiter weiterzugeben. 

Sie übte fortan, sich eine eigene Meinung über die Dinge zu bilden und daran zu arbeiten, Kompromisse zu finden, die alle Seiten zufrieden stellten. Dabei konnte sie ihre in der Rolle der Gefälligen entwickelten Fähigkeiten auszugleichen und zu besänftigen am Arbeitsplatz hervorragend nutzen. Da sie selbst ihre Position gefunden hatte, also auf einem eigenen Stuhl saß, empfand sie ihre Leitungsfunkton nun auch als nicht mehr so anstrengend. 

Was im Berufsleben mit einiger Übung recht gut funktionierte, erwies sich im Privatleben als schwieriger.Da sie immer das gewollt hatte, was die anderen vermeintlich wollten, hatte sie kein Gespür dafür entwickelt, was sie selbst eigentlich gern mochte und was ihr gut tat. 

Bis heute arbeitet  die nicht mehr ganz junge Frau daran, ihre Bedürfnisse, Gefühle und Wünsche zu erkennen und anzunehmen und die Verantwortung für ihre Erfüllung selbst zu übernehmen.  

Sie erwartet nicht mehr von sich, in wenigen Jahren ein Verhaltens-, Gedanken- und Gefühlsmuster abzulegen, die  sie über so viele Jahre zur Perfektion gebracht hat. Sie mag sich heute auch dann noch,  wenn sie man mal wieder in alte Fallen getappt ist.  Es fällt ihr jetzt früher auf,  wenn sie auf alten Pfaden unterwegs ist. Sie nimmt es sich nicht mehr übel, sondern ermutigt sich, es beim nächsten Mal anders zu machen. Sie richtet ihre Aufmerksamkeit auf  ihre Erfolge und  die vielen schönen Dinge, die das Leben ihr schenkt.

Die dunklen Tage, wenn sie sich selbst nicht mag, sich ihre Fehler und Schwächen vorwirft, werden weniger.

Sie hat begonnen, sich an die Dinge zu erinnern, die sie als Kind und junges Mädchen interessiert haben: Schreiben, Literatur, Sprachen, Malen und Bewegung, Fahrrad fahren, Yoga, Zusammensein mit Freunden, Schwimmen,  Mode und Make-up, Kochen. Sie erkundet, ob diese Dinge ihr heute noch Spaß machen und gut tun. Sie macht Ausflüge und sie experimentiert wieder in der Küche. Sie empfindet ihr Leben als bunt, interessant und spannend. Sie ist weiterhin engagiert auf der Arbeit, das Privatleben ist nun aber mindestens ebenso wichtig. Sie achtet darauf, Zeit für sich allein zu haben, zum Lesen, zum Tagebuchschreiben und sie sucht den Kontakt zu Freunden und Familie.

Sie stellt sich andere Fragen: Wie fühlt sich das an? Bin ich entspannt in dieser Situation oder verbiege ich mich grade? Tut mir das gut? 

Sie beginnt langsam zwischen Selbstbezogenheit und gesunder Selbstfürsorge zu unterscheiden. Sie versucht, andere so zu unterstützen, wie diese es brauchen, statt durch Hilfsbereitschaft zu manipulieren und zu kontrollieren.

Mittlerweile ist aus der dicken, nicht mehr ganz jungen Frau eine vollschlanke Frau im mittleren Alter geworden, die davon überzeugt ist, dass es die Lebensaufgabe eines jeden erwachsenen Menschen ist,  sich selbst anzunehmen  und seine Persönlichkeit, seine Fähigkeiten und Begabungen zu entfalten und sich  mit ihnen in diese Welt einzubringen.

Das Leben ist ihr dabei ein guter Lehrmeister. Neben individuellen Lernaufgaben und Prüfungen  hält es viele Belohnungen bereit: Sommertage, phantastische Landschaften, Freude an der Bewegung, Lachen, Vogelgezwitscher, Sturm, gute Filme und Bücher, großartige Bilder, Abenteuer, Erlebnisse und Erfahrungen und immer wieder neue Erkenntnisse….