Wie schaffen das nur alle?

Es ist Sonntag. Auf meiner To-do-Liste steht: Freundin anrufen, Sohn und Enkeltochter besuchen, mit meiner Mutter ein paar Papiere durchgehen, Ofenpaella machen und mit Partner essen, Wäsche aufhängen, Klamotten für morgen bügeln. Außerdem muss ich dringend einige Daueraufträge stornieren, zwei  Rechnungen bezahlen und  diversen Menschen meine neue Adresse mitteilen. Ich würde gern einen längeren Spaziergang machen, weil mir Bewegung fehlt.

Gestern, am Samstag standen einige dieser Dinge auch schon auf der To-do-Liste. Immerhin habe ich den Wochengroßeinkauf geschafft, war im Baumarkt, habe leere Flaschen weggebracht, die Waschmaschine beladen und das Badezimmer geputzt. Dann habe ich noch kurz bei einer Bekannten vorbeigeschaut, bevor ich nach Hause gefahren bin, um zu kochen. Das Essen war gegen 21.00 Uhr fertig und zwischendurch habe ich noch die Küche saubergemacht. Ach ja, zweimal mit dem Hund draußen war ich auch.

Gegen so ein Wochenendprogramm ist eigentlich nichts einzuwenden. Ich spreche gern mit meiner Freundin, bin vernarrt in meine kleine Enkelin und freue mich auf den Besuch, ich koche gern, und Haushalt gehört nun mal zum Leben dazu. Trotzdem macht sich seit Wochen wieder Unzufriedenheit in mir breit. Der Grund? Ich fühle mich verpflichtet, habe das Gefühl, dass auch das Wochenende nur aus Anforderungen an mich besteht, dass die Zeit für Muße, für Hobbies, zum Lesen oder mal einen Film gucken, fehlt.

Morgen beginnt schon wieder der Alltag, morgens früh raus und erst gegen 18.00 Uhr wieder zuhause.  Mein Leben unterscheidet sich nicht von dem Millionen anderer Menschen. Auch sie müssen zwischendurch oder am Wochenende ihren Haushalt machen, sich um ihre Rechnungen kümmern und ihre sozialen Kontakte pflegen. Viele machen auch noch Sport oder engagieren sich ehrenamtlich. Wie schaffen sie das? Ich bin abends meistens einfach nur kaputt und habe keine Lust oder Energie noch irgendwas zu machen. Liegt das etwa am Alter? Ich bin 57, tagsüber gefühlt wie 35.

Im November und Dezember habe ich meine Wochenenden damit zugebracht, unser altes Haus und den großen Garten leer zu räumen. Der neue Besitzer wollte nicht mal unser Gartenhaus behalten, alles musste weg. Das Renovieren, oder besser Restaurieren dieses Hauses ist ein Prozess, der die nächsten Jahre in Anspruch nehmen wird. Die ersten Wochenenden dieses Jahres haben  wir mit Baumarktbesuchen, Bodenbelege, Fliesen, Farben usw. aussuchen verbracht, mit Planen und Diskutieren, Ausmessen und Umherräumen. Dazu kamen noch zwei Wochenendseminare, die ich nicht absagen konnte.

Die Menschen, die mir nahe stehen, habe ich also seit Monaten immer nur kurz gesehen bzw. nur kurze Nachrichten mit ihnen ausgetauscht. Jetzt, wo das Wichtigste erledigt ist, habe ich wieder ein bisschen mehr Zeit an den Wochenenden – und möchte am liebsten niemanden sehen. Traurig finde ich das.

Doch während ich hier noch vor mir her jammere, keimt schon wieder so ein bisschen Energie in mir auf. Gleich rufe ich meine Freundin an, dann sprechen wir eben nur eine halbe Stunde statt zwei miteinander, ich werde zu Fuß zu meinem Sohn gehen und kriege so gleich meinen Sonntagsspaziergang hin und meine Mutter lade ich zum Essen ein und während die Paella im Ofen schmort, kann ich die Papiere mit ihr durchgehen. Und außerdem, was mache ich denn grade? Ich blogge, fröne meinem Lieblingshobby, also alles gut, oder?

Die dicke Frau im Spiegel

Einige Tage kreisten meine Gedanken fast nur um meine Gewichtszunahme. Ich mochte mich selbst nicht mehr, habe innerlich mit mir geschimpft und mich alt und hässlich gefühlt. In dem Moment, wo ich Trost und Ermutigung gebraucht hätte, habe ich mich mit Selbstvorwürfen und Abwertung bestraft.

Diese Phase ist vorbei.

Am letzten Wochenende übernachtete ich in einem Hotel. Im Badezimmer hing ein riesengroßer Spiegel, direkt gegenüber der Badewanne. Als ich aus der Wanne stieg, sah ich völlig unvorbereitet diese  Frau mit Dellen an den Schenkeln, ausladenden Hüften, einem hervorstehenden Bauch, großen Brüsten und schlaffen Oberarmen. Ich sah einen sehr weiblichen Körper mit einer Rubensfigur in XXL.

Vielleicht klingt es verrückt, aber in diesem Moment habe ich mich erstmals mit dieser Frau im Spiegel identifiziert. Ich habe mich gesehen, wie ich bin.  Bis dahin bestand mein Übergewicht aus den  Zahl auf der Waage.  Diese war mein Feind, die zu eng gewordenen Hosen, die XXL-T.Shirts, die Tatsache, dass kein Kleidungsstück meinen Bauch kaschierte, das war mein Übergewicht. Den Anblick im Spiegel hatte ich bis dahin immer schnell verdrängt, nackt hatte ich mich schon lange nicht mehr betrachtet.  Vor meinem inneren Auge sah ich noch aus wie früher.

Ein Freund von mir, Psychologe, hat einmal  gesagt, dass Übergewicht bei Kindern, insbesondere Jungs, den Wunsch spiegelt, endlich gesehen und anerkannt zu werden. 

An diesem Morgen empfand ich meinen Körper als Ausdruck von Bedürftigkeit, als Aufforderung, gesehen zu werden.  Ich   empfand Mitgefühl mit mir.

Auf der Arbeit und in der Familie nehme ich stets die Rolle der Starken ein. Das fällt mir nicht schwer, denn ich bin belastbar und ich mag gern für andere da sein. Aber so wie mein Körper immer „stärker“ und massiger wurde, so hat auch diese Rolle in den letzten Jahren immer mehr Bedeutung gewonnen. Seit meine Söhne das Haus verlassen haben, ist der Job zum Lebensinhalt geworden.  Dabei habe ich Freundschaften vernachlässigt und mich kaum noch mit Fragen außerhalb des Jobs beschäftigt. „Weibliche“ Themen, wie Mode und Deko ignoriert, Interessen nicht mehr verfolgt. Meine Welt ist klein geworden und ich lache viel zu selten.

Nun  verstehe ich mein  Übergewicht  auch als Folge und gleichzeitig als Sinnbild für ein Leben im Ungleichgewicht.

Die dicke Frau im Spiegel verdient es, mit liebevoller Fürsorge, Nachsicht und Geduld behandelt zu werden. Sie verdient es, viel Spaß haben, schöne Dinge zu unternehmen,  Freunde zu treffen  und die Fülle des Lebens zu genießen. Und damit sie dafür genügend Energie hat, wird sie sich weiterhin fettarm und gesund ernähren und sich viel bewegen.

Wer weiß, vielleicht verliert sie dann ja auch von ganz allein ein paar Pfunde 😉

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Früher und Heute

Früher  musste ich sehr viel essen, um zuzunehmen.

Heute nehme ich rasend schnell zu. Manchmal nehme ich sogar zu, obwohl ich Kalorien gezählt und auf ausreichend Bewegung geachtet habe. .

Früher bereitete es mir keine Schwierigkeiten, abzunehmen. Wenn ich abnehmen wollte, machte ich entweder eine Diät oder ich aß weniger. Manchmal nur 3 Äpfel bis zum Abendessen und ich fühlte mich trotzdem leistungsfähig. Allerdings rauchte ich damals noch und kompensierte  viel Stress damit.

Heute ist das ganz anders.  Ich halte es nicht mehr aus, hungrig zu sein oder mich durch zu wenig Nahrung zu kasteien. Ich fühle mich dann den Anforderungen auf der Arbeit oder in der Familie nicht mehr gewachsen. Meine Konzentration lässt nach, ich werde nervös und rastlos.

Früher war mir mein Aussehen sehr wichtig. Ich habe viel Zeit und Energie in das richtige Make-up, in Shopping und Körperpflege investiert. Schlank sein stand dabei für Attraktivität. Ich fühlte mich anderen Frauen überlegen, wenn diese deutlich dicker waren als ich, und ich fühlte mich anderen Frauen unterlegen, wenn ich ein paar Kilos mehr auf die Waage brachte.

Heute haben die Verpflichtungen in Arbeit und Familie absoluten Vorrang. Im Alltag bleibt wenig Zeit, ans Aussehen zu denken. Allerdings vergleiche ich mein Aussehen immer noch mit dem anderer Frauen und dann tröstet es mich, zu sehen, dass es auch in meinem Alter viele schlanke Frauen gibt. Das gibt mir Hoffnung, denn es zeigt mir, dass älter werden nicht zwangsläufig dick werden bedeutet.

Früher hatte ich unendlich viel Energie. Manchmal wird mir ganz schwindlig, wenn ich daran denke, was ich als allein erziehende, voll berufstätige Mutter alles geschafft habe. Joggen, bevor ich die Kinder weckte, Frühstück für sie machen, zur Kita im Eilschritt, in letzter Minute auf der Arbeit erscheinen, im Eilschritt zur Kita, Judo, Schwimmen, Fußballtraining, einkaufen, Haushalt, Elternabende, die Kinder zu Freunden bringen und sie abholen, selbst die Wohnung voller Kinder haben, den Alltagskram organisieren und am Wochenende bis 04.00 Uhr morgens auf die Piste gehen, wenn sie mal beim Vater übernachten durften.

Heute komme ich von der Arbeit nach Hause,  sage meinem Lebensgefährten Hallo, mache die Runde mit dem Hund, bereite das Abendessen zu, und kämpfe darum, wenigstens bis 22.30 Uhr wach zu bleiben, bevor ich ins Bett falle. Alle weiteren Aktivitäten empfinde ich als höchst anstrengend. Auf das Wochenende freue ich mich vor allem, weil ich endlich ausschlafen kann.

Früher war ich fit und gelenkig. Beim Yoga kam ich mühelos in alle Positionen, konnte stundenlang wandern, schwimmen oder Rad fahren.

Heute bin ich nach einem zweistündigen Spaziergang erschöpft. Ich bin steif und unbeweglich. Das liegt zum Teil an meinem Gewicht, zum Teil an meiner Arthrose.

Früher war ich fest davon überzeugt, dass ich durch Abnehmen nicht nur meine Pfunde, sondern auch die meisten meiner Probleme loswerden könnte.

Heute weiß ich, dass ich meine Probleme lösen muss, wenn ich abnehmen will.