Warum fühle ich mich schuldig, weil ich nicht tue, was nötig wäre, um meine Lebensqualität zu verbessern? Es ist doch mein Leben! Ich entscheide, was ich draus mache. Was andere darüber denken, ist deren Problem. Der Arzt verschreibt mir auch dann Schmerzmittel, wenn ich meine Übungen vernachlässige.
Also, mein Leben, ich bin niemanden verpflichtet, außer mir selbst, oder?
Kein Grund für ein schlechtes Gewissen. Millionen Menschen haben mit Gesundheitsproblemen zu tun und essen trotzdem Pizza. So wie mein Kollege Timo. Der hat auch Diabetes und Bluthochdruck und holt sich trotzdem mittags Currywurst mit Pommes und geht am Wochenende feiern bis zum Absturz.
Ich belüge mich selbst. Wenn ich ehrlich bin, ist es mir nicht egal, dass ich so abgebaut habe.
Manchmal, an besonders schlechten Tagen, könnte ich heulen. Ich, die früher stundenlang im See geschwommen bin, die Sport und Bewegung liebte, kann jetzt nicht mal meine Schuhe zubinden. Nach 30 Minuten Nordic Walking bin ich erschöpft. Meine Silhouette im Spiegel ist furchtbar: Hohlkreuz und ein vorgewölbter Bauch. Das lässt mich 10 kg schwerer aussehen.
Ich nehme das Auto, weil ich nicht mehr in mein Fahrrad einsteigen kann. Dabei hat das schon einen niedrigen Eintritt. Schwimmen geht auch nicht, weil ich meine Beine nicht mehr abwinkeln kann, Kraulen hab ich nie gelernt. Meine Knie tun weh, Treppe rauf geht, aber Treppe runter geht gar nicht und ich habe Angst zu stürzen, wenn ich mal irgendwo runterspringen muss. Mein Rücken ist dauerverspannt – auch ein Resultat der schlechten Haltung.
Dass ich eine Arthrose habe, ist nicht meine Schuld, aber dass ich seit mehreren Jahren nicht mehr beim Arzt war, meine Übungen nur äußerst sporadisch mache und mich immer weniger bewege, das habe nur ich zu verantworten.
Ebenso der Diabetes. Liegt bei uns in der Familie, haben alle. Aber ich hatte ihn schon mit Anfang 50, nicht erst mit 65 oder 70 wie meine Onkel und Tanten. Und dass meine Werte schlecht sind, liegt leider auch an meinem Lebensstil.
Und dann die Haut. Auch das teils genetisch, aber durch Stress stark beeinflussbar und auch durch Diabetes und Schmerzmittel, also die, die man bei Arthrose bekommt.
Ich kann es drehen und wenden, wie ich will. Ich bin nicht schuld an meinen Erkrankungen, aber dass sie mich im täglichen Leben so beeinträchtigen, liegt an meinem schlechten Umgang mit mir selbst.
Und warum gehe ich so schlecht mit mir um?
Weil mir alles andere wichtiger ist, als ich selbst. Ich gehe morgens zur Arbeit mit dem Vorsatz, mir endlich einen Arzttermin zu holen. Irgendwann, meist am Ende des Tages, erinnere ich mich daran. Rufe in der Praxis an und höre, dass die Sprechstunde bereits vorbei ist. Das geht dann über Wochen so.
Meist vergesse ich über meinem Job, etwas für mich zu tun. Statt bewegter Pause esse ich nebenbei am Rechner. Zuhause setze ich das fort. Weil mein Lebensgefährte sich beschwert, dass ich nie zuhause bin, gehe ich am Wochenende nicht zum Training. Außerdem stehen Großputz und Einkauf an und was man sonst halt so zuhause erledigen muss.
Mein Lebensgefährte ist keine Unterstützung, er ist selbst krank und kann längere Strecken nur noch mit dem Rollstuhl zurücklegen.
Es ist meine Entscheidung: soll meine Lebensqualität weiter abnehmen oder akzeptiere ich, dass ich Zeit und Kraft für meine Gesundheit aufbringen muss? Dass ich Nein sagen muss, wenn mehr von mir verlangt wird, als ich ohne Selbstausbeutung leisten kann.
Es ist meine Wahl. Mir ist dieses Leben geschenkt worden und ob ich es ausschöpfe und genieße oder mich immer weiter einschränke, liegt in meiner Verantwortung.
Ich fühle mich mir selbst gegenüber schuldig fühle. Dem Teil in mir, der lebendig und voller Lebenslust ist. Der Frau gegenüber, die ich einmal war und der ich mich so gern wieder annähern möchte. Ich weiß, mit Mitte 60 werde ich nie wieder so fit sein wie mit 35, aber es könnte mir viel, viel besser gehen und ich könnte viel mehr unternehmen, wenn ich aufhöre, meine Krankheiten zu ignorieren und mich dem, was mir helfen könnte, zu widersetzen. Wenn ich lerne, meine Gesundheit und mein Wohlbefinden an erste Stelle zu setzen.
Ich habe mich entschieden. Ich werde meine Hüften operieren lassen und meinen Lebensstil ändern. Es ist nicht zu spät. Hier, jetzt und heute fange ich an.