Tortenheldinnen 5

„Hallo Ella, komm rein.“ Im Flur nimmt er mir den Mantel ab und fragt, ob ich etwas trinken möchte.

„Ist Mareike nicht da?“ frage ich.

„Sie kommt gleich. Sie wollte nur schnell ein Paket abholen.“

„Wir wollten unseren Blogbeitrag fertigstellen. Unser Artikel erscheint immer donnerstags.“

„Ich weiß, Mareike hat mir davon erzählt. Ihr macht euch ziemlich viel Arbeit mit diesem Blog. Bekommt ihr Geld dafür?“

„Nein, wir machen es, weil es Spaß macht und wir uns dadurch mindestens zweimal im Monat sehen.“

„Dann könnt ihr also nicht ohne einander.“ In seiner Bemerkung schwingt ein Unterton mit und ich wechsle das Thema.

„Du gehst gern zu Dichterlesungen, hast du erzählt. Machst du beruflich etwas mit Literatur?“

„Nein, ich arbeite bei einer Versicherung, aber meine Mutter war Deutschlehrerin, daher wohl meine Liebe zur Literatur. Und du, magst du Literatur?“  

„Ich lese querbeet, was mir gerade gefällt, aber am liebsten gucke ich Filme.“

„Und was machst du sonst noch so?“

„Ich kümmere mich um meine häkelnde Oma und hoffe, dass mich jemand mit dem Mann meines Lebens verkuppelt.“

Markus lacht verlegen.

„War ja nur ein Scherz, gestern. Wenn du so alt wie Mareike bist, muss deine Oma ja steinalt sein.“

„Sie ist fast 95. Sie lebt noch allein, aber ich gucke jeden Tag nach ihr. “

„Wow, das ist ein stolzes Alter. Wie alt ist denn deine Mutter?“

„Meine Mutter wäre jetzt 76 geworden.“

Markus schweigt. Um die Stille zu füllen, erzähle ich weiter.

„Meine Oma war ihr Leben lang sehr genügsam, vielleicht ist sie deshalb so alt geworden. Torte gab es nur an Feiertagen und Fleisch nur an Sonntagen.“

Markus scheint nicht zuzuhören und ich bin erleichtert, als ich Mareike hereinkommen höre.

Markus steht auf und küsst sie, als hätten sie sich sechs Wochen nicht gesehen.

Tortenheldinnen 4

Nach einer unruhigen Nacht quäle ich mich ins Büro. Ich arbeite in der Verwaltung eines Seniorenheims. Nicht mein Traumjob, aber ich kann davon gut leben. Ich bin nicht so genügsam wie meine Tochter, die in einem winzigen WG-Zimmer lebt und nur Second-Hand Mode trägt. Ich mag schöne Kleidung und reise gern.

Während ich noch meinen ersten Kaffee trinke, kommt Gitta ins Büro.

„Die Angehörigen von Frau von Mählen bitten um Rückruf, und du hast gestern vergessen, die Abrechnungen an die Pflegeversicherung zu senden. Die haben schon dreimal angerufen. Kümmere dich bitte sofort darum!“

Ich verdrehe innerlich die Augen. Gitta ist Frau Oberwichtig. Als stellvertretende Heimleitung sieht sie ihre Aufgabe darin, andere auf ihre Fehler hinzuweisen und sie herumzukommandieren.

Elke, die bei uns die Sozialbetreuung macht, grinst mich an. „Vielleicht sollte jemand sie mal verkuppeln, dann würde sie mal an was anderes denken, statt immer nur zu meckern.“

Ihre Worte erinnern mich an Markus und Mareike.

„Hast du noch eine Idee für unsere Kulturangebote?“ fragt sie.

„Wie wär’s mit einer Dichterlesung?“ entfährt es mir.

„Vielleicht könnte jemand ja einen Kurs in kreativem Schreiben anbieten und die Senioren lesen ihre eigenen Werke vor,“ spinnt sie meine Idee weiter. „Danke, Elsa! Du hast mich auf eine tolle Idee gebracht.“

Unser Seniorenheim ist sehr edel. Die meisten unserer Bewohner sind gebildet und wohlhabend. Entsprechend bieten wir ihnen Sprachkurse, Fahrten in die Oper und die Elbphilharmonie an. Hin und wieder habe ich Glück und darf für eine erkrankte Betreuungskraft einspringen oder bekomme eine Karte von einer Bewohnerin geschenkt.

Der Tag verfliegt schnell. Die Abrechnungen sind schnell verschickt, Familie van Mählen hatte nur eine Frage zur Rechnung und Gitta hält sich zurück. Um 16.00 Uhr packe ich meine Sachen und mache mich auf den Weg zu Mareike.

Doch nicht sie öffnet die Tür, sondern Markus.

Danke Christiane für diese ABC-Etüde! Mitschreiben macht Spaß, hier der link zur Schreibeinladung: https://wordpress.com/read/feeds/23737740/posts/4586348757

Tortenheldinnen (3)

Zuhause lasse ich den Nachmittag noch einmal Revue passieren. Markus war mir sofort unsympathisch gewesen und das nicht nur wegen seiner Bemerkung über mein Tuch. Er setzte alles daran, unser Gespräch zu beherrschen und versuchte, sich als Intellektuellen darzustellen. Schwafelte von der Dichterlesung, die er besuchen wollte und von den Ausstellungen, die er in den vergangenen Tagen gesehen hatte. Mareike hatte nichts gesagt, sondern ihn nur verliebt angesehen.

„Wollt ihr nicht mal über Museumscafés schreiben“, hatte er gefragt und gleich hinzugefügt, dass unser Blog doch sehr davon profitieren könnte, wenn wir auch über kleine, unbekannte Restaurants schreiben würden. „Dann würde ich Mareike und dich bestimmt öfter begleiten, und, wenn du noch jemanden suchst, mit dem du ausgehen kannst, habe ich da noch einen netten Kollegen, mit dem ich dich verkuppeln könnte.“  

Wie immer in solchen Situationen war mir keine passende Bemerkung eingefallen, um ihn in die Schranken zu verweisen, aber meine Wut stieg vom Bauch in die Kehle und ich spürte, wie ich rot wurde. Ich hatte einen Termin vorgeschoben und mich schnell verabschiedet.

Ich überlege, ob ich Mareike anrufen sollte, um ihr meine Meinung über Markus mitzuteilen, aber entscheide mich dagegen. Sie sieht ihn noch durch die rosarote Brille, und vielleicht hat er ja auch nette Seiten und war nur aus Unsicherheit so überheblich. Morgen treffe ich Mareike, dann werde ich sie vorsichtig auf ihn ansprechen.

Ich rufe stattdessen Karla an, meine Tochter. Sie lebt in Berlin und ist immer sehr beschäftigt. Unser Telefonat dauert nur wenige Minuten, aber ich erfahre immerhin, dass sie eine neue Frisur hat, einen ganz modernen Schnitt, raspelkurz, und dass sie es nicht schaffen wird, vor Weihnachten noch zu Besuch zu kommen. Manchmal verstehe ich Karla nicht. Sie lebt genügsam und versteht meine Leidenschaft für Cafés überhaupt nicht.

Ich fühle mich plötzlich allein.

Da ich die letzte Etüde verpasst habe, habe ich die Wörter (Schnitt, rot, beherrschen) mit den Wörtern von heute https://365tageasatzaday.wordpress.com/2023/03/05/schreibeinladung-fuer-die-textwochen-1011121323-wortspende-von-werner-kastens/(Dichterlesung, genügsam und verkuppeln) kombiniert. Danke Christiane für diese Etüden!