„Sei sittsam und bescheiden, vor allem froh gesinnt, dann mag Dich jeder leiden als ein geliebtes Kind.“
Dieser Spruch stand in meinem Poesiealbum. Meine Großeltern, in deren Haus wir wohnten, hatten ihn mir aufgeschrieben. Es war ihr Wunsch, dass ich so werde und diesen Wunsch habe ich erfüllt. Leider nicht zu meinem Vorteil, wie meine Erfahrung aus dieser Woche zeigt.
Am vergangenen Wochenende habe ich meine Erkältung auskuriert. Geschlafen, gedöst, gelesen.Am Montagmorgen bin ich pünktlich um 5.00 Uhr aufgestanden, habe geduscht, den Hund spazieren geführt und bin dann zur Arbeit gefahren. Kaum im Büro habe ich schon gemerkt, dass es eigentlich zu früh war. Der Kopf hat gedröhnt, die Stimme war heiser, aber ich habe ein paar Aspirin eingeworfen und die Beschwerden ignoriert. Es gab so viel zu tun und ohne mich geht’s ja nicht, oder?
Auch am Dienstag ging es mir noch nicht gut und am Donnerstag auch nicht. Aber das lag dann nicht mehr an der Erkältung. Donnerstag gab es den Scheck. Den Scheck mit dem Weihnachtsgeld. Lang ersehnt und dringend benötigt. Angesichts des hohen Umsatzes, der zusätzlichen Projekte und der vielen Überstunden, rechnete ich mit einer netten Summe.
Nun, ich öffnete also diesen Umschlag und traute meinen Augen nicht. Ein lächerlich geringer Betrag, grade mal genug, um den Tannenbaum und ein Paar Winterstiefel zu kaufen. Nicht ein Cent mehr, als der faule Kollege, der dreimal im Jahr über Wochen krank ist und Dienst nach Vorschrift schiebt. Nicht ein Cent mehr, als meine Mitarbeiter, die wesentlich weniger Verantwortung tragen als ich und im Gegensatz zu mir, fast immer pünktlich nach Hause gehen.
Nun muss man wissen, dass ich in einem Familienunternehmen arbeite, Hand in Hand mit der Geschäftsführerin, die auch Gründerin unserer Einrichtung ist. Ich arbeite seit fast 20 Jahren mit ihr zusammen und werde gern auch hinzugezogen, wenn es um Projekte außerhalb meines Bereichs geht. In den letzten Jahren bekam ich zum Jahresende als leitende Angestellte eine hohe Prämie anstelle von Weihnachtsgeld.
Hohe Prämien wurden auch dieses Jahr gezahlt. An den kaufmännischen Leiter, den Leiter des Qualitätsmanagements, der Personalleiterin, der Geschäftsführung. Eben an die Leitungsebene. Als pädagogische Leitung gehöre ich dieser offenbar nur dann an, wenn meine Fachlichkeit gebraucht wird. Bei der Anfertigung neuer Konzepte etwa. Oder wenn es darum geht, Fachvorträge zu halten und Außenwerbung zu betreiben. Ebenso bei Projekten, bei denen meine Sprachkenntnisse gefragt sind. Nicht aber, wenn es um die materiellen Belohnungen am Jahresende geht. Dann hat der hohe Umsatz, den wir erzielt haben, plötzlich nichts mehr mit meiner Arbeit zu tun.
Das „Wir-Gefühl“, das unsere Geschäftsleitung so gern betont, ist schnell vergessen, wenn es um Geld geht.
Was lerne ich daraus? Nun, es lohnt sich nicht, so viel Kraft und Energie, soviel Herzblut und Engagement in die Arbeit zu stecken. Am Ende gibt es keine Belohnung und auch keine besondere Anerkennung. Nur ein schlechtes Gefühl. Ich fühle mich ausgenutzt und ein wenig belächelt. Als Faktotum der Firma, die immer zur Stelle ist, wenn man sie braucht, die sich für keine Arbeit zu schade ist, die auch im Urlaub noch Berichte durchguckt und am Wochenende Dokumentation macht. Die sich dann aber mit Peanuts abspeisen lässt.
An dieser Stelle nämlich setzt die Selbsterkenntnis ein: ich bin es selbst, die sich bei Grippe noch in die Firma schleppt, die am Wochenende Arbeit mit nach Hause nimmt und im Urlaub das Handy anlässt. Niemand bittet mich darum. Ich mag meine Arbeit. Aber grade hier am Arbeitsplatz greifen meine selbst schädigenden Verhaltensmuster. Sich für alles verantwortlich zu fühlen, stets verfügbar zu sein, keine Grenzen zu setzen. Dabei immer freundlich, gut gelaunt und ausgeglichen erscheinend. Meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse zurückstellend für das Wohlergehen anderer. Wie oft habe ich jemanden meiner Mitarbeiter Urlaub gewährt und dafür meine eigenen Urlaubspläne angepasst.
Nun, die Lektion, die ich erfahren habe, und das nicht zum ersten Mal, lautet: wir sind selbst verantwortlich für unser Wohlergehen und dafür, für unsere Leistungen angemessene Belohnung einzufordern. Wenn wir nicht auf unsere Grenzen achten, uns immer für jede Zusatzarbeit anbieten, Verantwortung übernehmen, wo es auch andere könnten, dann wird das irgendwann als Selbstverständlichkeit gewertet. Es wird einige Menschen geben, die uns schlicht für dumm halten, so wenig auf unsere eigenen Interessen zu achten, und es wird andere geben, die gar meinen, uns einen Gefallen zu tun, wenn sie noch ein wenig mehr Arbeit an uns delegieren. Schließlich brauchen wir es ja. Im schlimmsten Fall werden die Früchte unserer Arbeit von anderen geerntet, von denen, die weniger bescheiden und dafür lauter sind. Die auf sich und ihre Arbeit aufmerksam machen, statt bescheiden und fleißig im Hintergrund zu ackern.
Ich habe diese Lektion nicht zum ersten Mal in meinem Leben erfahren. Es ist nun an der Zeit, sie zu verinnerlichen. Ein weiteres Mal möchte ich mit ihr nicht konfrontiert werden. Einen kleinen Schritt habe ich schon getan: ich habe darauf bestanden, morgen einen Tag Urlaub zu nehmen, obwohl eine wichtige Besprechung ansteht – in einer anderen Abteilung. Ich sollte dazu kommen, weil ich mich in den Paragraphen so gut auskenne – aber da soll sich jetzt mal ein anderer schlau machen.
Arbeitgeber wollen immer viel und geben wenig 😉
Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben.
Man soll viel arbeiten (natürlich auch in der Freizeit),Einsatz zeigen … aber wozu?
Danken tut es einem doch niemand.Ohne Arbeitnehmer wären die Arbeitgeber sowas von am Arsch.Aber daran denken DIE nicht.Nie!
Aber ihr beiden … nicht aufregen.Das war eine Lektion aus der ihr lernen konntet *knuddel*
Liebe Frau Yu,
das Geld ist nicht das Entscheidende. Die fehlende Wertschätzung und Anerkennung der erbrachten Leistung kränken. Auch ich werde mein Engagement künftig einschränken und ich sehe die Freundlichkeit meiner Arbeitgeberin mit anderen Augen. Schade ist es trotzdem, ich mag meine Arbeit nämlich richtig, richtig gern und finde sie auch sinnvoll und wichtig. Aber beim Mittagessen zu sitzen und zuzuhören, wenn unser Prokurist mit seinen Plänen für Weihnachtseinkäufe in New York glänzt, während wir wieder mal vereinbart haben, uns gegenseitig nur Kleinigkeiten zu schenken, ärgert mich ganz ungemein.
Das ist wirklich ärgerlich.
Ich habe gerade eine ähnliche Erfahrung gemacht.
Wir hatten ein großes Projekt laufen, ich habe mich engagiert und Überstunden geleistet wie wahnsinnig. Genau so ein Kollege. Wir haben uns krank, übermüdet und völlig fertig zur Arbeit geschleppt, haben für alle Anliegen ein Ohr gehabt und uns gekümmert und viel Veratnwortung übernommen.
Wir bekamen ein Prämie. Das ist nett, klar. Aber der faule Kollege, der die Aufgaben gern auf andere abwälzt und auch gerne mal deutlich sagt: „Nö, auf diese Aufgabe habe ich keinen Bock. Kann ein anderer machen.“, der hat sie auch bekommen.
Viel schlimmer fand ich jedoch, dass in der Abschlussbesprechung mein Kollege und ich mit keinem Wort erwähnt wurden. Das war schon ein Schlag ins Gesicht.
Daraus lernte ich, dass die normalen Dienstzeiten reichen und wenn jemand außerhalb dieser Zeiten etwas von mir will, er einfach Pech gehabt hat. Ich bestehe auf meine Überstunden und werde mich nicht mehr krank zur Arbeit quälen.
Traurig, dass Arbeitgeber anscheinend nicht sehen, dass sie mit solchen Aktionen die Moral und Motivation ihrer Angestellten zerbrechen.