Als ich Donnerstag von der Arbeit kam, stand in unserer Auffahrt ein überdimensional großes Wohnmobil. Auf der Terrasse war der Tisch gedeckt, auf dem Grill brutzelte schon das Steak. Wir hatten Besuch aus Norwegen bekommen. Bis spät in den Abend saßen wir draußen, tranken zuviel Rotwein und hatten Spaß.
Unsere Besucher sind beide übergewichtig und das scheint sie überhaupt nicht zu stören. Sie zeigten Urlaubsbilder, auf denen beide nur Badehose bzw. Bikini trugen. Cellulite und Fettrollen waren deutlich zu sehen. Es kümmerte sie nicht.
Ganz ohne Scham fragten sie, wo sie in der Nähe Jeans in Übergrößen kaufen könnten.
Diese Einstellung zum Körper ist mir schon bei anderen Freunden aus Norwegen aufgefallen. Ganz ungeniert tragen die Frauen Bikinis, obwohl ihre Figur nicht im entferntesten mehr Ähnlichkeit mit dem gängigen Schönheitsideal hat. Auch die Männer entledigen sich bei Sonnenschein sofort ihrer T.Shirts und laufen in Shorts herum, egal wie weit der Bauch über den Hosenbund hängt oder die Krampfadern blau leuchten.
Keiner guckt, keiner taxiert den anderen.
Meine Einstellung zu meinem Körper ist eine ganz andere. Schon als kleines Mädchen war mein Aussehen Thema in der Verwandschaft. Bis heute schallen mir die Bemerkungen meiner Tanten ins Ohr „Du hast aber ordentlich kräftige Beine“, wobei sie mich dann gern auch zwickten. Meine deutlich dünnere Kusine wurde mir als leuchtendes Beispiel vor Augen gehalten. Wenn ich mir heute alte Kinderfotos von mir ansehe, sehe ich ein Mädchen mit rundem Gesicht und ganz unauffälliger, schlanker Figur.
Als Teenager litt ich unter meinem breiten Becken. Als ich ca. 13 war, wirkte der durch Twiggy ausgelöste Schlankheitswahn noch nach. Knabenhafte Körper waren angesagt. Hotpants und Miniröcke modern. Ich habe eher die Eieruhrfigur gehabt. Sehr schmale Taille, Schultern und Becken ca. gleich breit. So, wie es in den 50iger Jahren beliebt war. Wie oft musste ich mir von meinen Mitschülerinnen sagen lassen, dass ich ja grade noch Hotpants tragen könne, aber wirklich nur grade noch.
Mein Mutter, heute 74, achtet immer noch sehr genau auf ihre Figur. Sie ist klein und zierlich und sehr stolz darauf. Sie ist mit den Werten der 50iger Jahre groß geworden, wo das Ziel jeder Frau darin bestand, sich einen Mann zu „angeln“ , wobei die äußere Attraktivität, sprich einen schlanken, schönen Körper zu haben, von großer Bedeutung war. Wir Töchter dieser 50iger Generation haben diese Werte teilweise noch vermittelt bekommen. Ich selbst habe sehr früh verinnerlicht, das ich nach meinem Aussehen bewertet werde.
Mein Pech, das in den 60igern und frühen 70iger Jahren die knabenhaften Typen angesagt werden.
Zum Glück bin ich erwachsen genug, mein Selbstwertgefühl nicht mehr vom Aussehen abhängig zu machen. Ich weiß, wer ich bin und was ich kann. Meistens jedenfalls. Aber einen Bikini werde ich in diesem Leben trotzdem nicht mehr tragen.
Da kann ich Dir nur zustimmen!
Liebe Frau Yubaba,
erschreckend, dass all diese Omas auch Frauen sind, denen es vielleicht einmal ähnlich ging wieuns. Das Vergleichen mit anderen ist das eigentlich Schlimme, denn dadurch habe ich früh gelernt, andere Mädchen/Frauen nicht als Freundinnen und Wegbegleiterinnen zu sehen, sondern als Konkurrentinnen. Ich habe mich selbst ständig mit anderen verglichen und tue es manchmal heute noch. Zum Glück habe ich aber gelernt, damit umzugehen und Frauen nicht mehr als Rivalinnen zu sehen, sondern als Freundinnen und Menschen, die meist ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Mein Cousin hat eine sehr dünne Frau geheiratet, die dafür in der Familie immer sehr bewundert wurde und die ich dafür gehasst habe. Wir hatten nie viel Kontakt. Neulich erzählte mir meine Mutter, dass sie bei ihrer Beerdigung war. Sie ist mit Ende 40 gestorben, extrem übergewichtig und seit Jahren psychisch krank.
Liebe Susaenna, ich denke, es gibt wenige Menschen auf dieser Welt, die nicht irgendwann einmal mit Abwertungen und Zurückweisungen zurecht kommen müssen. Einige erleben mehr davon, andere weniger, und einige verarbeiten diese Kränkungen ganz gut, während andere lebenslang damit zu tun haben. Wichtig ist es, nach vorn zu blicken. Das Heute zu genießen und so den Grundstein für ein gutes Morgen zu legen. Was früher war, können wir nicht mehr ändern und wir verderben uns das Heute, wenn wir dem Gestern zu sehr hinterherhängen.
„Meistens jedenfalls“ hast du geschrieben und das unterschreibe ich auch sofort. Immer ist es mir nicht egal, aber ich sehe es entspannter. Das ist doch eigentlich eine gute Mischung. Drauf achten, aber sich nicht von tyrannisieren lassen.
Etwas Gelassenheit macht es auch einfacher, wie ein Korken auf den hormonellen Monsterwellen zu schwimmen ;-).
Mir gefällt, dass Du sagst, Du machst Deinen Selbstwert nicht mehr davon abhängig… ich wünschte nur, Du hättest diese Abwertungen/ Bewertungen nicht auch ertragen müssen….
Ich bewundere Menschen, die so ein entspanntes Verhältnis zu ihren Körpern haben.
Und in Norwegen ist es mir auch oft aufgefallen, dass da der Umgang mit sich selbst anders ist. Man ist wie man ist.
Ich kann das leider auch nicht.
Witzig, oder eigentlich traurig, finde ich, dass ich das mit der vorbildlichen, schlanken Cousine auch kenne. Bei jeder Familienfeier hieß es: „Mach dich MAL chic, Cousine XY kommt auch.“
Danke. Hab schon verstanden.
Oder Omas, die sagen „Man bist du fett geworden.“ oder „Das Kind hat aber auch stämmige Beine.“
Wenn ich mir heute Kinderfotos ansehe, sehe ich, dass ich eigentlich total normal aussah.
Aber in meinem Kopf wurde damals schon verankert, dass mein Äußeres unansehnlich ist.
Hoffentlich lerne ich irgendwann, entspannter zu sein. Das macht so vieles einfacher.