Familienbande

Mutter lädt zum 84. Geburtstag ein. Am Sonntag, um 12.30 Uhr, in ein traditionsreiches Gasthaus mit deutscher Küche. Ein Grund zur Freude sollte man denken, oder? Da sie wegen ihrer Schwerhörigkeit nicht mehr so gern telefoniert, bittet sie mich, als älteste Tochter, die Familie zu einzuladen.

„Hatten wir nicht darüber gesprochen, dass eine wir eine Gartenparty feiern?“ Gudrun, meine Schwägerin schaut mich fast vorwurfsvoll an. „Ich hatte mich da schon drauf gefreut, alles ein bisschen lässiger und dann vielleicht reinfeiern von Samstag auf Sonntag.“

Typisch, denke ich, im eigenen Garten fällt es ja auch nicht so auf, wenn du dein Weinglas alle paar Minuten nachfüllst.

„Wir holen sonntags um 09.00 immer frische Brötchen und frühstücken schön zusammen. Da haben wir mittags noch gar keinen Hunger.“ Mein Neffe und seine Frau blicken fast empört auf die Einladungskarte.

Kann es sein, dass die neue Generation so unflexibel ist?

„Deutsche Küche? Womöglich noch Schweinebraten? Und das mitten im Sommer?“ Meine Schwester runzelt die Stirn. „Mutti weiß doch, dass ich vegan lebe, warum macht sie so was?“

„Sicher wird sie an dich denken und selbst  Traditionshäuser sind sie mittlerweile auf vegetarisches Essen eingestellt.“

„Ja, aber vegan ist nicht vegetarisch.“

„Dann bestell dir doch Salat mit Essig und Öl“, entfährt es mir.

„Während ihr so richtig toll esst, soll ich mir was Langweiliges reinziehen. Mutti ist wirklich egoistisch.“

„Das stimmt, eure Mutter ist eine Egoistin“, springt ihr nun mein Schwager zur Seite. „Sie hätte vorher mal alle fragen sollen, worauf sie Lust haben, statt einfach über unsere Köpfe hinweg zu bestimmen.“

„Es ist doch ihr Geburtstag. Sollte sie da nicht entscheiden, wie sie ihn feiern möchte?“

„Ja, aber sie macht es genauso, wie sie es toll findet, und nimmt keine Rücksicht auf uns.“

Wer ist denn hier der Egoist, frage ich mich.

Meine Nichte freut sich. „Toll, so richtig retro, vielleicht noch mit ´nem  Korn hinterher und Schwarzwälder Kirschtorte zum Kaffee. Darf ich Krischi mitbringen?“

Krischi ist ihre neueste Errungenschaft. Immerhin sind die beiden schon vier Wochen zusammen, fast schon ein Rekord. Ich werde Mutti fragen.

Die drei anderen Enkel versprechen ihre Terminkalender zu prüfen, und sich später zu melden. Ich suche Trost bei meinem Mann. Der solidarisiert sich mit meinem Schwager und erklärt mir ausführlich, warum er meine Mutter für eine Person hält, die ihre Familie kontrollieren und an sich binden will, aus purem Egoismus natürlich. Nie würde sie ihn um Rat fragen, sondern immer nur meinen Bruder, der, das wissen alle, keine Ahnung hat. Über den Streit, der nun entbrennt, berichte ich jetzt lieber nicht.

Meine Mutter hat sich wochenlang Gedanken gemacht, wie sie der Sippe etwas Gutes tun kann und sich für das Gartenlokal am See entschieden:  gehobene Küche, nicht zu fein, Kinder und Hunde willkommen. Unzählige Male hat sie mich um Rat gefragt. Ich fühle mich verantwortlich für die Abwehr, die die Einladung hervorruft.

Donnerstagabend fahre ich zu meiner Mutter.

„Und, kommen alle?“ Erwartungsvoll guckt sie mich an.

Zum Glück haben alle drei Enkel zugesagt und sogar gefragt, was sie ihr schenken könnten.

„Alle freuen sich und kommen gern“, entgegne ich. Sie strahlt.

Im nächsten Jahr wird alles anders

„Im nächsten Jahr wird alles anders. Besser.“

„Alles? Besser? Was meinst du damit?“

„Na, alles eben, mein ganzes Leben. Meine Gesundheit, meine Beziehungen, das Haus hier und der Garten, ich will mehr Zeit für meine Hobbys, ich will endlich mehr reisen und intensiver leben. Glücklicher sein, zufriedener sein, heiterer und gelassener, mehr Lebensfreude haben, mehr Energie, wenn ich abends nach Hause komme.“

„Willst du da nicht ein bisschen viel auf einmal?“

„Nein, das kann ich schaffen.“

„Und, hast du einen konkreten Plan?“

„Nein, ich will einfach loslegen. Und zwar sofort. Nicht erst im neuen Jahr.“

„Du weißt aber schon, dass man Ziele am besten erreicht, wenn man sie in kleine Teilziele einteilt, die man auch wirklich erreichen kann, oder? Sonst ist man nämlich ganz schnell entmutigt, wenn man sich gleich so große Ziele setzt, dass jeder winzige Fortschritt wie ein Nichts erscheint.  Und außerdem müssen die Ziele richtig konkret sein, messbar am besten, damit man auch sieht, dass man in die richtige Richtung geht. Wie willst du sonst überprüfen, ob du wirklich zufriedener bist oder mehr Freude am Leben hast?“

„Ja, das weiß ich alles selbst. Zumindest was Gesundheit betrifft, ist alles messbar. Da will ich bessere Zuckerwerte hinkriegen, und ich will 15 kg abnehmen und regelmäßig zum Kieser Training und jeden Tag 10. 000 Schritte gehen und mindestens jeden 2. Tag die Übungen für die Arthrose machen.“

„Das ist konkret. Aber nimmst du dir das nicht jedes Jahr vor?“

„Doch, und letztes Jahr habe ich es sogar bis zum Urlaub durchgehalten, aber als dann der Stress auf der Arbeit losging, hab ich wieder gefuttert wie blöd, du weißt ja, Stressessen, und nicht genug geschlafen, hab abends lange gearbeitet und bin dann nicht mehr zum Sport gegangen, da sind dann natürlich auch die Blutzuckerwerte entgleist und ich habe wieder 5 kg zugenommen.“

„Und wie willst du es hinkriegen, dass es dieses Jahr besser wird?“

„Ich will Stress reduzieren.“

„Was macht dir denn Stress?“

„Eigentlich alles, aber wenn ich ehrlich bin, mache ich mir den selbst, weil ich es immer allen recht machen will und mich immer für alles und jedes verantwortlich fühle. Das ist auf der Arbeit so und auch zuhause. Ich tue was andere wollen, selbst wie lange ich spazieren gehe, bestimme nicht ich, sondern mein Hund.“

„Wie das?“

„Na, wenn sie keine Lust hat zu laufen, kehren wir um, sobald sie ihr Geschäft erledigt hat, auch wenn ich mich auf einen langen Spaziergang gefreut hatte. Wenn Peer was von mir will, lasse ich automatisch alles stehen und liegen, um ihm zur Seite zu eilen und auf der Arbeit mache ich es genau so. Ständig bleibt meine Arbeit liegen, weil die Anliegen anderer wichtiger erscheinen .“

„Das solltest du tatsächlich ändern. Aber mach dich drauf gefasst, dass das den anderen nicht gefallen wird. Du musst mit Widerstand rechnen.

Und was ist mit den anderen Dingen– du willst ja dein ganzes Leben verändern, hast du vorhin gesagt. Was hat es damit auf sich?“

„Oh, das hängt mit meinem 60. Geburtstag zusammen.“

„Wie das?“

„Ich hätte gern eine richtige große Party geschmissen, aber es gab niemanden, den ich einladen konnte.“

„Das ist wirklich traurig. Wie kommt das?“

„Unser  Haus ist auch nach drei Jahren eine Baustelle und wir haben keinen Platz für eine Party.“

„Na, da hättest du doch woanders feiern können.“

„Es gab niemanden, den ich hätte einladen können.“

„Niemanden?“

„Meine Familie, natürlich. Aber ich habe nur noch eine wirklich gute Freundin. Keine Bekannten, keinen Freundeskreis. Das ist alles verloren gegangen, als ich damals aus Hamburg weg bin.

„Das wird nächstes Jahr doch genauso sein.“

„Ja, aber zumindest kann ich mir mehr Zeit nehmen, für die paar Leute, die ich kenne. Meine Kontakte intensiver pflegen, da bin ich nämlich ziemlich schlampig. Außerdem will ich mindestens einen Malkurs und einen Kurs in kreativem Schreiben belegen.“

„Und was ist mit all den anderen Sachen. Die Welt sehen, mehr Lebensfreude, gelassener und glücklicher sein – wie willst du das erreichen?“

„Ich will Neues ausprobieren, mich was trauen, mal raus aus dem gewohnten Trott. Meine Welt ist so klein geworden, sie besteht nur noch aus Gewohnheiten und den immer gleichen Ritualen. Meine Arbeit ist der Mittelpunkt meiner Welt. Das will ich ändern. Es muss ja nicht gleich eine Weltreise sein, um neue Eindrücke zu gewinnen, Impulse und neue Ideen zu bekommen. Alles andere hängt vor allem von den inneren Einstellungen ab, davon, dass es mir gelingt, mich von überflüssigen Mustern zu befreien. Gelesen habe ich schon ganz viel darüber, aber jetzt will ich es endlich mal umsetzen.“

„Mit anderen Worten, du willst aktiv und selbstbestimmt an die Dinge herangehen, statt so zu sein, wie andere dich gern hätten.“

„Das trifft es so in etwa. Ich sehe das neue Jahr als Reise an, bei der ich von den vertrauten Pfaden abweiche, neue Wege gehe, mir Zeit nehme, die Dinge zu tun, die mir wichtig erscheinen und vor allem will ich mich auf das Schöne und Positive konzentrieren und mich daran erfreuen.“

„Viel Glück. Das hört sich nach einem langen Prozess an. Ich bin gespannt.“

Dieser Blog hat heute Geburtstag!

Es ist genau ein Jahr her, dass ich hier verkündete, 20 kg in einem Jahr abnehmen zu wollen.

Diesen Blog gibt es also schon ein ganzes Jahr und in diesem ganzen Jahr habe ich nicht ein Kilo abgenommen. Aber auch nicht ein Gramm zugenommen. An manchen Tagen wiege ich sogar ein oder zwei Kilo weniger als am 24. August 2012.

Bin ich deshalb nun traurig?

Nein, denn in diesem Jahr habe ich viel nachgedacht über mein Leben, die Rolle, die mein Gewicht darin spielt, über meine Werte und meine Ziele. Ich habe verstanden, dass der dicke Bauch, die vielen Polster und Kurven eine Bedeutung haben. Einige Pfunde sind durch vergangene schlimme Situationen entstanden, gehören der Kategorie Kummerspeck an. Andere haben sich durch viel zu viele Stresshormone angesammelt, wieder andere sind ein Zeichen dafür, dass ich einfach gern esse, ein paar andere Pfunde sind durch Bewegungsmangel entstanden und dann sind da die, die entstanden sind, weil ich älter geworden bin und deshalb weniger Kalorien als früher brauche.

In diesem Jahr habe ich gelernt, mich meiner Kurven, Polster und Röllchen nicht mehr zu schämen, sie nicht mehr unter sackartigen Gewändern zu verstecken, sondern sie zu zeigen. Die Pfunde haben ihren Schrecken verloren.

 

Das heißt aber nicht, dass mir mein Aussehen egal ist. Das überhaupt nicht! Ich liebe Make-up, lange Duschen, Cremes und Lotionen, Düfte und hübsche Kleidung. Und das soll auch so bleiben.

Eigentlich wollte ich diesen Blog deshalb an diesem Tag umbenennen. Statt Abnehmtagebuch sollte ein ‚über 50, na und‘ – Tagebuch entstehen. Doch nun hat sich eine lang gehegte dunkle Ahnung bestätigt und dieser Blog bleibt zumindest in Teilen ein Abnehmtagebuch.

Mein Arzt hat mir in der vergangenen Wochen, nach ich weiß nicht, wie vielen Blutentnahmen,  eröffnet, dass meine Cholesterinwerte viel zu hoch sind und meine Blutzuckerwerte so gar nicht in Ordnung. Tja, und da hilft nur das Vermeiden von  Fettem und Süßen, von Weißmehl,das Reduzieren von Stress, Bewegung, Bewegung, Bewegung, Verzicht auf Alkohol (hin und wieder ein Glas Wein ist ok) und Bewegung,Bewegung und nochmal Bewegung. Der gute Doc bestand auch auf Tabletten, die ich, wenn ich brav bin und wirklich abnehme, Sport treibe und mich ganz gesund ernähre, vielleicht auch wieder absetzen darf.

Ich bin übrigens familiär vorbelastet. Mama, Onkel und Tanten haben durch die Bank weg Diabetes Typ 2 entwickelt, und ganz ehrlich, ich habe überhaupt keine Lust auf Insulin .

Deshalb also noch mal von vorn, es geht wieder los, ich will abnehmen  und hin und wieder werde ich auch  auf die Waage steigen. Aber nur, wenn der Hosenbund locker sitzt, denn die Zahl auf der Waage kann ja auch ganz schön viel Stress auslösen und das will ich ja vermeiden.