Seit drei Wochen habe ich zwei neue Mitarbeiterinnen. Die eine, Frau Pelle, ist Sozialarbeiterin, die andere, Frau Mandel, Psychologin. Beide sind um die 27 Jahre alt und haben ausgezeichnete Zeugnisse. Frau Mandel kann außerdem noch zwei Zusatzqualifikationen vorweisen und beherrscht drei Fremdsprachen fließend.
Frau Mandel hat ein Büro im obersten Stock bekommen, dort, wo alle leitenden Mitarbeiter sitzen. Frau Pelle hat ein Büro im zweiten Stock bekommen und ist von vielen Kolleginnen und Kollegen umgeben.
Die beiden arbeiten in verschiedenen Projekten und ich bin ihre direkte Vorgesetzte.
Frau Mandel hat innerhalb von wenigen Tagen nicht nur mein volles Vertrauen in ihre Fachlichkeit, sondern auch mein Herz gewonnen. Aber nicht nur ich, sondern auch unsere Geschäftsleitung sind von ihr begeistert.
Wie bei allen neuen Mitarbeitern übernehme ich Teil der Einarbeitung selbst und bitte ausdrücklich darum, mit allen Fragen zur Firmenstruktur, aber auch zu unseren Konzepten und Herangehensweisen zu mir zu kommen. Ich suche die beiden, wie auch die anderen Teammitglieder, regelmäßig in ihren Büros auf, um Fragen oder Probleme rechtzeitig klären zu können.
Frau Mandel kommt mindestens einmal am Tag kurz in mein Büro. Sie fragt, ob ich Zeit habe und berichtet dann von ihren Erlebnissen mit unseren Klienten, zeigt mir, welche Übungen sie sich überlegt hat und fragt, was ich darüber denke oder was ich ihr empfehle. Manchmal machen wir einfach ein bisschen Smalltalk. Ich weiß mittlerweile, dass sie Motorrad fährt, gern reist und sich vor kurzem von ihrem Freund getrennt hat.
Frau Pelle kommt nie in mein Büro. Wenn ich sie frage, ob ich ihr noch etwas erklären oder zeigen kann, verneint sie dies. Da auch ihr Aufgabenbereich sehr komplex ist und sie erstmals in diesem Bereich arbeitet, habe ich Zweifel, dass sie wirklich schon „sattelfest“ ist. Manchmal, wenn ich in den zweiten Stock komme, sehe ich Frau Pelle bei Kolleginnen sitzen. Offensichtlich klärt sie mit ihnen ihre Fragen. Das ärgert mich, denn seit einigen Monaten schon arbeiten wir (also die Geschäftsleitung und ich) daran, einige Abläufe zu verändern und stoßen dabei auf viel Abwehr im Team.
Frau Mandel hat zu ihrem Einstand einen Kuchen gebacken. Da sie mitbekommen hat, dass nicht nur ich, sondern auch einige Kollegen keine süßen Sachen essen, hat sie auch einen Obstkorb mitgebracht. Am Geburtstag unserer Sekretärin, die die Tochter unseres Geschäftsführers ist, hat sie ihr Blumen auf den Schreibtisch gestellt.
Frau Pelle ist sehr korrekt. Als ich einen Bericht mit ihr besprach, wies sie mich auf einen Tippfehler hin. Sie bleibt stets sachlich. Sie gibt nichts von sich preis. Als Mensch bleibt sie mir fremd.
Frau Mandel hingegen fasziniert mich. Ich bewundere sie sogar ein bisschen. Sie ist nicht nur hochintelligent, sondern verfügt auch über eine hervorragende soziale und emotionale Kompetenz. Sie „fremdelt“ nicht, sondern geht auf jeden im Hause zu, stellt sich vor, erzählt ein bisschen von sich. Sie erkennt sehr schnell, womit sie die Sympathie eines Menschen gewinnen kann. Eine Geburtstagskarte für eine Klientin, eine Mappe mit Trainingsaufgaben für eine Kollegin, ein Gespräch über Motorräder mit unserem EDV-Mann. Sie ist aufmerksam und geht auf die anderen ein, tut ihnen ungefragt kleine Gefallen, sodass jeder sich von ihr „gesehen“ fühlt. Dabei bleibt sie sehr bescheiden, sie fügt sich nahtlos in ihr Team und kooperiert mit allen.
Innerhalb weniger Tage hat sie die Sympathie nicht nur ihrer Kollegen, sondern auch die unseres Hausmeisters, unserer Sekretärin, unserer Geschäftsleitung und die ihrer Klienten gewonnen. Jeder mag sie, jeder ist freundlich und hilfsbereit zu ihr. Gleichzeitig hat sie Vertrauen in ihre Fähigkeiten geschaffen, indem sie ihre Arbeit transparent macht.
Frau Pelle und Frau Mandel sind nicht die ersten Mitarbeiter, die ich einarbeite. Ich bin sicher, dass Frau Pelle eine sehr gute Mitarbeiterin wird und im Laufe der nächsten Wochen ihre Zurückhaltung verliert.
Ich bin überrascht über meine Reaktion auf Frau Mandel. Ich entdecke bei mir fast mütterliche Gefühle ihr gegenüber: den Wunsch, sie zu fördern, meine schützende Hand über sie zu halten und ihr mein Wissen weiter zu geben.
Habe ich schon mal erwähnt, dass ich immer auch gern eine Tochter gehabt hätte?
Nun, ich werde sowohl Frau Mandel, als auch meine Reaktion auf sie weiter gut beobachten. Mein Bauchgefühl hat mich bislang selten betrogen, aber im Job muss dieses immer mit einer gehörigen Portion Rationalität gepaart sein.
Vielleicht sollte ich nicht schreiben „wie sie dies schafft“, sondern „ob“ sie es schafft. Auf jeden Fall wird es spannend, die Entwicklung dieser beiden jungen 🙂 Frauen zu beobachten.
Trina das wollte ich nicht so sagen, habe mir aber das bei Frau M. so gedacht.
Das ist auf den ersten Blick sicher positiv, sowas kann sich aber auch ganz schnell ins Gegenteil drehen.
Du schriebst so begeistert, dass ich es nicht wagte Kritik an Frau M zu üben, aber nach deiner heutigen Antwort kann ich das dann 🙂
Ja, da stimme ich Dir zu. Menschen sind unterschiedlich, und es gibt Menschen, die anderen gegenüber im Vorteil sind, weil sie mit viel Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen ausgerüstet sind und leicht auf andere Menschen zugehen können. Menschen mit wenig Selbstvertrauen neigen dazu, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie auf andere wirken, wie sie einen guten Eindruck machen können usw., während Menschen wie Frau M. dafür keine Energie investieren, sondern ihre Aufmerksamkeit auf die Menschen um sich lenken und dann überlegen, wie sie sich einbringen können.
Bei Frau M. habe ich den Verdacht, dass sie sehr genau weiß was, und vor allem wohin, sie will. Ich finde es spannend zu beobachten, wie sie dies schafft.
Interessant beschrieben.
Aber ich glaube die Menschen sind einfach unterschiedlich.
Ich kann mir vorstellen dass Frau Pelle genauso ein liebenswerter und nicht nur sachlicher Mensch ist, vielleicht braucht sie einfach mehr Zeit um „warm“ zu werden.
Aber klar, eine die sich einbringt, die erobert alle Herzen rascher.